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Der Gesang des Wasserfalls

Der Gesang des Wasserfalls

Titel: Der Gesang des Wasserfalls Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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Professionalismus, der meist von den Angestellten der Fluggesellschaften an den Tag gelegt wurde und den Passagieren das Gefühl gab, aus Plastik zu sein, wenn sie mit ihren Kannen wedelten und nichts als »Tee? Kaffee?« zu sagen hatten. Diese Menschen strahlten echte Wärme und Natürlichkeit aus, was die trockenen Brötchen und die geschmolzenen Schokoriegel, die als Imbiss gereicht wurden, vergessen ließ.
    Vor dem Abheben sagte der Pilot an, dass der Flug pünktlich starten würde. Geschätzte Ankunftszeit auf dem Timehri-Flughafen in Georgetown, Guyana, sei 22 Uhr.
     
    Eine Stunde nach der Landung wünschte sich Madison, sie wäre nie nach Guyana gekommen. Vom ersten Augenblick an erkannte sie, dass Scherereien, Ärger und Unannehmlichkeiten vor ihr lagen. Sie stand mit vierzig anderen müden Passagieren in einer Schlange in einem heißen Blechschuppen. Ein Ventilator drehte sich quietschend und langsam an der Decke, und Regen prasselte auf das Dach.
    Mit wachsender Gereiztheit beäugte Madison den einzigen Beamten an der Passkontrolle. Er stand hinter seinem Pult und genoss offenbar das Wissen um die Autorität und die Macht, die er repräsentierte, während vor dem Schalter jeder auf den Urteilsspruch warten musste. Er nahm jeden Pass mit den Fingerspitzen entgegen und blätterte langsam alle Seiten durch, betrachtete ausführlich jeden Stempel. Gelegentlich warf er einen Blick auf den eingeschüchterten Besitzer des kleinen Passbuchs, bevor er träge alle Seiten erneut umblätterte, um eine passende leere Seite zu finden. Mit der geschlossenen Faust glättete er die Seite, damit sie aufgeschlagen blieb. Dann griff er nach dem Stempel, überprüfte die Einzelheiten, falls sie sich in den letzten Minuten auf wundersame Weise verändert hätten, drückte ihn fest und sorgfältig auf das Stempelkissen, überprüfte noch mal die Unterseite des Stempels, hob mit einem letzten Blick auf den Passinhaber den Arm und stempelte die Seite mit einem gewaltigen und beeindruckenden Rums. Danach wurde der Pass mit einer gleichgültigen Geste dem Inhaber gereicht, während der Beamte bereits sein nächstes Opfer ins Auge fasste.
    Mit einem Nicken in Richtung der fünf leeren Schalter fragte Madison den hinter ihr wartenden südamerikanischen Geschäftsmann: »Warum sind nicht mehr Beamte im Einsatz?«
    »Es ist Mitternacht. Wer will schon um Mitternacht arbeiten?« Er zuckte die Schultern und lächelte leicht amüsiert über ihre Frage.
    Madison bemühte sich, ihre Verärgerung zu zügeln. »Aber alle Flüge landen um diese Zeit. Man sollte meinen, sie hätten sich ein besseres System ausdenken können.«
    Der Mann hob beide Hände zu einer Was-soll-man-machen-Geste. »Wir sind hier in Guyana.«
    Er war ein Mann um die Fünfzig, hatte olivbraune Haut, dunkle Augen und an den Schläfen ergrautes Haar. Durch seinen leichten Bauchansatz wirkte er ein wenig behäbig. Er schien die Art Mensch zu sein, der sich durch nichts aus der Ruhe bringen lässt, ein Mann, der viel gereist war und einiges gesehen hatte.
    Die Schlange schob sich um eine Person vor. Madison gähnte und war plötzlich besorgt wegen Matthews Freund. Würde er wohl immer noch auf sie warten? »Wie weit ist es bis zur Stadt?«, fragte sie den Geschäftsmann.
    »Die Fahrt dauert eine Stunde, vielleicht länger bei diesem Regen. Haben Sie eine Hotelreservierung?«
    »Nein. Ich sollte eigentlich abgeholt und zum Haus meines Bruders gebracht werden, aber er ist nicht in der Stadt.« Allmählich wurde sie ein bisschen nervös. Guyana schien, nach allem, was sie bisher gesehen hatte, von Murphy's Law beherrscht zu werden. Alles, was schief gehen konnte, ging schief.
    »Die besseren Hotels sind alle ausgebucht, weil eine internationale Zollkonferenz in Georgetown stattfindet«, erklärte er. »Keine Bange, meine Frau holt mich ab, und wenn Ihr Freund nicht mehr da ist, können Sie bei uns übernachten, und wir bringen Sie dann morgen früh zu Ihrem Bruder. Mein Name ist übrigens Antonio Destra.« Er schüttelte ihre Hand, und Madison fühlte sich plötzlich beruhigt. Sie war erstaunt darüber, dass sie diesem freundlichen Mann sofort vertraute. Er hatte etwas Väterliches an sich. »Hier ist meine Karte. Ich war geschäftlich in Miami.«
    »Sie sind Guyaner?« Madison warf einen Blick auf die Karte. »Oh, Sie arbeiten für eine amerikanische Gesellschaft.«
    »Ja, wir verkaufen neue und gebrauchte Maschinen und Ersatzteile an die Minen und Bauunternehmen.

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