Der Gesang von Liebe und Hass
verleihen.
Er ging weiter, zögernd und doch angezogen von dem Zellentrakt, als könnte sich dort sein Leben entscheiden.
Die Zellen glichen Gewölben wie jeder Raum in diesem Kloster, nur daß sie kleiner waren als alle anderen Räume. In ihrer düsteren Gleichförmigkeit erinnerten sie eher an Käfige, in denen man Tiere hielt. Auch hatten sie keine Türen aus Holz, sondern aus schmiedeeisernen Stäben; sein Befehl, sie offenzuhalten, war also unnötig gewesen.
Brenski zählte zwanzig Nonnen, die, dem kleinen Fenster unter der gewölbten Decke zugewandt, auf den Knien lagen.
Das Murmeln ihrer Gebete klang wie das Summen von großen Fliegen, wie sie sich früher in Röblin an heißen Tagen vor dem Vorratsschrank zu sammeln pflegten oder in der Küche am Fliegenfänger hängen blieben, wenn seine Mutter Gelee und Marmelade einweckte.
Mit seiner Mutter hatte er einmal ein Kloster besucht, dem ein Waisenhaus angeschlossen war. Dort war alles hell und luftig gewesen, und die Schwestern hatten ihnen Honigkuchen angeboten und Milch, denn sie unterhielten eigene kleine Stallungen mit zwei Kühen, zwei Schweinen und vielen Hühnern und Gänsen.
Er war damals noch sehr jung gewesen, aber selbst dem Knaben Paul Brenski fiel schon auf, wie fröhlich die Nonnen alle aussahen und wie jung, ja selbst die alten Frauen unter ihnen wirkten mit ihren glatten Gesichtern unter dem weißen Stirnband und der schwarzen Haube jünger als seine eigene Mutter.
Seine Mutter hatte den Nonnen Eingemachtes gebracht und abgelegte Kleider von ihm, die sie zuvor säuberlich geflickt, gewaschen und gebügelt hatte. Die Nonnen hatten sich sehr über die bescheidenen Geschenke gefreut; ihr dankbares Lachen hatte wie Vogelgezwitscher nach einem Gewitter geklungen, wenn die Sonne die Düsternis wieder vertrieben hat.
Am Ende des Zellengangs, den Brenski jetzt beschritt, war eine hohe Eichentür, und als er sich der letzten Zelle näherte, öffnete sich diese Tür, und die Schwester Oberin trat ihm entgegen.
»Was suchen Sie hier?« fragte sie mit ihrer hochmütigen Stimme.
»Ich tue meine Pflicht«, sagte Brenski. Er konnte sich einer leichten Ironie nicht enthalten. »Ich inspiziere, ob sich in den Zellen nicht noch ein Heckenschütze verborgen hält.«
»Die Klausur ist noch von keinem Mann betreten worden, und ich befehle Ihnen, sich sofort zu entfernen!«
»Wir sind im Krieg«, sagte Brenski, »und Sie können mir nichts befehlen oder verbieten.«
»Gott wird Sie strafen!«
Brenski sah sie nur an.
»Gott befiehlt Ihnen umzukehren, ehe Sie sich versündigen.«
Brenski blieb reglos stehen.
Die Madre Superior wandte sich stumm um und trat hinter die hohe Eichentür zurück.
Brenski ging zu der letzten Zelle zu seiner Rechten.
Maria Christina hatte seinen Schritt erkannt, als er die Klausur betrat, sein Zögern gespürt, das ihn vor jeder Zelle kurz verharren ließ, da er des Habits wegen, den alle Nonnen trugen, nicht sicher sein konnte, welche von ihnen sie war. Sie wußte, daß er zu ihr wollte. Warum das so war, vermochte sie sich nicht zu erklären, aber es erfüllte sie nicht mit Angst, eher mit einer bisher unbekannten Erwartung.
Sie hörte den kurzen Wortaustausch zwischen der Madre Superior und ihm, und sie lauschte vor allem auf seine Stimme; was er sagte, klang bestimmt, aber nicht hart, überlegt und keineswegs aufsässig. Er ließ es auch nicht an einem gewissen Respekt fehlen, obwohl er ein Kommunist war.
Maria Christina saß auf ihrem harten Lager. Sie hatte den blutbesudelten weißen Kittel abgelegt, den sie im Operationsraum getragen hatte. Sie saß sehr still und wartete und schaute dem jungen Internacional entgegen.
Er blieb auf der Schwelle ihrer Zelle stehen.
»Darf ich eintreten?«
»Si.« Es war das erste Wort, das sie zwanglos zu einem Fremden sprach, seit sie im Kloster war.
Er trat näher, seine Augen ließen ihre Augen nicht los, und doch war es gleichzeitig, als glitte sein Blick über ihr ganzes Gesicht, umrunde es, zeichne die Linie ihrer Wangenbögen, ihres Mundes nach, ihre Brauen, die gewölbte Linie ihrer Stirn.
»Ich heiße Paul Brenski«, sagte er.
»Ich bin Schwester Teresa.«
»Bitte, sagen Sie mir Ihren richtigen Namen.«
»Maria Christina de Valquez y Ortega.«
Er setzte sich ihr gegenüber auf den Boden, zog die Beine an, schlang seine Hände um die Knie.
»Ein schöner Name. Ein alter spanischer Name.«
»Sí.«
»Wenn ich Ihre Haube richtig deute, so sind Sie noch
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