Der Gesang von Liebe und Hass
Tälern dazwischen floß geschmolzenes Blei, und Ajax wurde von einem der Wellenberge zu Tal getragen und er schrie, wie nur ein Tier schreien kann, aber da kam eine große Hand aus dem Sturm, ergriff den Hund und setzte ihn am Ufer ab. Und die Hand kam und nahm auch den Jungen und setzte ihn an Land ab, und die Stimme überdröhnte den Sturm, und da legten sich die Wellen, und alles war wieder ruhig. So ruhig, daß man das Herz in der Aufregung des Traums hämmern hörte.
Und darüber wurde Brenski wach.
El Corazón schnarchte neben ihm, aber das war es nicht, was Brenski geweckt hatte. Es war eine merkwürdige Stille, eine Leere, die unausfüllbar wirkte.
Er warf die Decke zurück, stand auf, zog seine Hosen an und ging auf nackten Füßen auf den Flur hinaus.
Im Hause war alles dunkel. Die Leuchtziffern seiner Armbanduhr zeigten ihm, daß es zwei Uhr morgens war.
Er ging zum Zimmer Maria Christinas, lauschte.
Er hörte nichts.
Vorsichtig drückte er die Klinke herunter. Das Blut schoß ihm in den Kopf, denn er selbst hatte gehört, wie Maria Christina von innen abgeschlossen hatte – und jetzt ließ sich die Tür öffnen, als habe sie überhaupt kein Schloß. Das vage Licht des zunehmenden Mondes, der in den Nächten zuvor von Wolken verdeckt gewesen war, leuchtete ins Zimmer.
Die Decken auf dem Bett waren zurückgeworfen, ein Kissen lag am Boden. Maria Christinas Kleider fehlten.
Brenski lief die Treppe hinunter. Die Hintertür zum Hof war nicht abgeschlossen, er lief zum Stall. Ralfo, das Maultier, war verschwunden – und mit ihm der Karren.
Brenski blieb stehen, unfähig, etwas zu denken, unfähig, einen Entschluß zu fassen.
Sie war abgehauen. Er dachte diese Worte automatisch in der Landsersprache – abgehauen.
Sie wollte allein nach Córdoba. Sie wollte fünfhundert Kilometer allein und unbeschützt bewältigen.
Aber war sie so nicht viel sicherer, ohne El Corazón und ihn? Wer würde sie nicht passieren lassen, wenn sie sagte: Ich bin Maria Christina de Valquez y Ortega. Ja, und meine Ahnen haben unter Columbus und Cortez die Neue Welt erobert.
Das war es. Sie war geflohen, weil sie die Gegenwart der beiden Männer nur störte und behinderte; Frauen waren eben klug. Für sie war die Wirklichkeit das Überleben, das Denken an sich selbst und an die Kinder, die sie geboren hatten.
Hatten sie da nicht einmal in seiner Pariser Zeit ein Spiel getrieben, an einem Abend, an dem sie nicht über die Ziele ihres politischen Denkens und Lebens diskutierten, und gefragt, die Frauen gefragt: Was tut ihr in einer ausweglosen Lage, wen rettet ihr, eure Männer oder eure Kinder? Und die Frauen hatten ohne Zögern und einhellig geantwortet: unser Kind. Und der Abend war zerbrochen in einem wilden Geschrei und Gefluche, denn die Männer hatten ihre Ohnmacht gegen den Willen der Frauen zur Wirklichkeit nicht wahrhaben wollen.
Aber ihm nützte es nichts, wenn er jetzt schrie und fluchte, denn hier gab es nicht die Mansarden und die möblierten Zimmer, in denen sie sich dennoch wieder zusammenfanden, die Frauen auch das als Wirklichkeit empfindend, und die Männer im Glauben, sie hätten die Frauen besiegt. Brenski begann zu lachen. Es war ein schallendes, von den Mauern widerhallendes Gelächter.
Eine Gestalt in einem Schlafrock erschien, unförmig dick, den Kopf vorgereckt.
»Schschsch«, machte Manuelo, »du weckst mir noch die ganzen Gäste auf.«
»Ich brauche ein Fahrrad oder besser noch zwei.«
»Wozu?«
»Maria Christina ist mit unserem Karren und dem Mulo weg.«
Manuelo kam näher. Er wiegte seinen Kopf von einer Seite zur anderen. »Ich weiß, ich habe ihr ja Proviant gegeben.«
Brenski hing an seinem Hals, drückte mit beiden Daumen zu, daß der dicke Wirt in die Knie ging.
»Laß – laß – los …«, flehte Manuelo.
Brenski ließ so überraschend los, daß Manuelo nach hinten fiel. Er blieb keuchend liegen, auf dem Rücken.
»Wann ist sie abgehauen?«
»Um elf Uhr.«
Das war vor drei Stunden. Sehr weit konnte sie nicht gekommen sein. Aber sie würde sich irgendwo für den Rest der Nacht verstecken.
»Ich dachte, ihr wüßtet Bescheid«, sagte Manuelo.
»Natürlich wußten wir nicht Bescheid. Sie hat Schweres durchgemacht, und man muß auf sie aufpassen wie auf ein Kind.«
»Das wußte ich nicht.«
»Deiner Mutter hat sie alles erzählt.«
»Aber nicht mir.« Manuelo stand auf, klopfte sich den Staub von seinem Schlafrock, unter dem er lächerlich lange Unterhosen trug.
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