Der Geschichtenverkäufer
und Dickie Dick Dickens, der Schrecken Chikagos. Alle Norweger in meinem Alter verfügen darüber. Wir waren wie eine einzige große Familie.
Zur samstäglichen Kinderstunde bekamen wir einen Schokoriegel zu fünfzig Öre und eine Limonade von 1,75 Deziliter, dazu entweder eine Tüte Russisches Brot, eine Schachtel Rosinen oder eine Tüte Erdnüsse. Manchmal gab es auch Rosinen und Erdnüsse, die wir dann vermischten. Die Samstagsschleckereien waren fast ebenso standardisiert wie das Schulfrühstück. Zum Schulfrühstück lud die Gemeinde zu Vollmilch, Knäckebrot mit Ziegenkäse und Graubrot mit Leberwurst, Kaviar und Hagebuttenmarmelade. Beim Schulfrühstück machte ich gelegentlich Stichproben, um festzustellen, was andere Kinder zum samstäglichen Kinderfunk bekamen. Es stellte sich heraus, daß sie alle dasselbe bekamen wie ich. Für mich war es eine unheimliche Erfahrung, daß es eine unsichtbare Verschwörung der Eltern zu geben schien. Ich wußte noch nicht, wie tief eine Einheitskultur uns prägen kann.
Es kam auch vor, daß wir eine Krone bekamen, um zum Kiosk zu gehen und uns unsere Samstagsschleckerei selber auszusuchen, dann war das Ergebnis natürlich köstlicher als die übliche Mischung von Erdnüssen, Rosinen und Russischem Brot. Für eine Krone gab es zehn Schokotäfelchen zu zehn Öre, aber für zehn Öre gab es auch einen großen Gummibären, zwei Salzlakritze, ein Sweetmint, zwei Schokokugeln zu fünf Öre oder vier Himbeerbonbons. Wir konnten uns auch einen Schokoriegel zu fünfundzwanzig Öre kaufen, eine Safttüte zu fünfundzwanzig Öre und zum Beispiel zwei Schokotäfelchen, zwei Gummibären und ein Sweetmint. Ich schaffte es immer, viel für mein Geld zu bekommen. Außerdem stahl ich Mutter ab und zu ein wenig Kleingeld aus der Manteltasche, wenn sie im Badezimmer war oder Mittagsschlaf hielt. Ich hatte kein schlechtes Gewissen, wenn ich mir eine oder zwei Münzen nahm, zumal ich es nur tat, wenn ich ein paar Tage lang nicht telefoniert hatte. Vier Anrufe bedeuteten eine Krone, ich war schon damals ein Ordnungsmensch. Natürlich achtete ich darauf, daß keine Schlüssel oder Münzen klirrten, wenn ich die Hand in Mutters Manteltasche schob. Meter schaute mir oft dabei zu, verriet mich aber nicht. Wenn ich eine Krone oder fünfzig Öre zusätzlich hatte, konnte ich mir meine Samstagsschleckereien gleich viel leichter zusammenstellen.
Nicht alle besaßen einen modernen Radioapparat, Mutter und ich jedoch hatten einen. Wir hatten eine alte Radionette gegen einen nagelneuen Tandberg Huldra eingetauscht. Der Apparat stand in einem Teakholzregal im Wohnzimmer und war mit Bananensteckern an zwei Lautsprechern angeschlossen, was einen sehr viel besseren Klang ergab als bei den alten Radioschränken. Auf dem Regalbrett unter Radio und Plattenspieler standen Mutters Schallplatten, eine ansehnliche Menge von alten Achtundsiebzigern, aber auch eine hübsche Sammlung von modernen Langspielplatten und Singles. Wenn ich mir meine Süßigkeiten für die Kinderstunde gekauft hatte, setzte ich mich vor einen Lautsprecher auf den persischen Puff und legte alle Süßigkeiten nebeneinander auf das Radio. Wenn ich mehr hatte, als ich unbedingt brauchte, legte ich in aller Heimlichkeit noch eine kleine Reihe Schokokugeln und Gummibärchen neben die Schallplatten. Diese untere Reihe aß ich dann als erste.
Auch die Erwachsenen kauften sich zum Samstagskaffee etwas Gutes, und auch darüber hatte ich während des Schulfrühstücks Untersuchungen angestellt. Mein Eindruck stimmte wieder auf beinahe unheimliche Weise mit den Erfahrungen überein, die ich zu Hause hatte machen können. Die Erwachsenen verzehrten große Geleefrüchte zu fünfundzwanzig Öre, Cognacbohnen der Firma Bergene, Orangenschokoladescheiben und Blockschokolade Marke Negerprinz. Wenn sie am späten Vormittag Besuch bekamen, gab es Tee und frische Brötchen mit italienischem Salat, und wenn es besonders fein zugehen sollte, halbierten sie Weißbrot der Länge nach und belegten es mit Roastbeef, Krabbensalat, gekochtem Schinken und Leberpastete.
Mutter glaubte, ich hörte den Kinderfunk, weil ich ihn lustig fand. Sie begriff nicht, daß ich mich dabei in meine eigenen Gedanken vertiefte. Sie begriff nicht, daß ich auf dem Puff saß und mir Verbesserungsmöglichkeiten für die Kinderstunde überlegte. Wenn das Radio jeden Samstag eine ganze Stunde lang die Aufmerksamkeit aller norwegischen Kinder beanspruchte, dann durfte es doch für die
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