Der Geschichtenverkäufer
der Lehrer in die Hände, nicht wegen des Lesens, sondern wegen des Inhalts, und ich applaudierte mit. Während Hege sich setzte, fragte ich den Lehrer, ob sie uns nicht auch einen Cha-Cha-Cha vortanzen könne, und er meinte gut gelaunt, das müßten wir auf nächstes Mal verschieben. Hege schien mir eine Grimasse schneiden zu wollen, aber dann traute sie sich doch nicht. Vielleicht hatte sie Angst, ich könnte sie blamieren, indem ich laut hinausposaunte, daß ich ihr galant geholfen hatte. Das hätte ich nie getan, denn Hege hatte mich pünktlich bezahlt, ich hatte zwei Kronen und fünfzig Öre genommen; trotzdem schien sie mir nicht zu trauen. Sie wußte nicht, wie oft ich anderen bei den Hausaufgaben half und daß ich nicht zum ersten Mal einem meiner Werke gelauscht hatte. Das mißfiel mir durchaus nicht, ich genoß es. Ich war der gute Helfer. Ich übernahm die Verantwortung für die ganze Klasse.
Hege blieb auch in der Mittelstufe in meiner Klasse, und wir schlossen eine lustige Wette ab. Die Lehrerin Laila Nipen hatte in der Lotterie eine Menge Geld gewonnen und sich einen nagelneuen Fiat 500 angeschafft, und ich deutete an, einige Jungs könnten doch den winzigen Wagen durch die breite Doppeltür ins Schulhaus tragen und in der Aula absetzen. Hege fand die Idee gut, traute uns die kühne Tat aber nicht zu. Weshalb ich ihr das feierliche Gelöbnis abnahm, mich auf einem romantischen Waldspaziergang zu begleiten, wenn Lailas Fiat noch vor Ende der Woche in der Aula stünde. Wenn nicht, würde ich einen ganzen Monat lang ihre Mathematikaufgaben übernehmen. Zwei
Tage später stand das Auto in der Aula, die ganze Operation hatte nur zehn Minuten einer Pause in Anspruch genommen, während der die Lehrer eine Besprechung abhielten. Wir hatten außerdem um das rote Miniauto eine blaue Seidenschleife gebunden, um es wie einen echten Lotteriegewinn aussehen zu lassen. Es wurde nie aufgeklärt, wer hinter diesem Bubenstreich steckte, und Hege mußte mit mir in den Wald. Sie versuchte gar nicht erst, sich dem klaren Hintersinn des »romantischen« Ausflugs zu entziehen. Hege war nicht dumm, sie wußte, wie raffiniert ich sein konnte, und daß ich vor allem ihretwegen mitgeholfen hatte, den Wagen in die Aula zu schaffen. Ich glaube außerdem, daß sie mich leiden mochte. Beim Linderudkollen fanden wir eine offene Scheune. Ich war zum ersten Mal mit einem nackten Mädchen zusammen. Wir waren beide erst vierzehn, aber sie war voll entwickelt. Ich glaubte, nie etwas so Wunderbares angefaßt zu haben wie sie.
Manchmal half ich auch den Lehrern, steckte ihnen witzige Vorschläge für Aufsatzthemen und andere Hausaufgaben zu. Ich bot an, dem Lehrer bei der Korrektur der Mathematikaufgaben zu helfen. Oder ich bat um Präzisierungen und genauere Auskünfte über Dinge, die wir in der Stunde besprochen hatten. Als wir das alte Ägypten durchnahmen, forderte ich den Lehrer auf, uns etwas über den Rosetta-Stein zu erzählen. Ohne diesen Stein hätte die Forschung niemals die Hieroglyphen entziffern können, erklärte ich, dann wüßten wir heute kaum etwas darüber, wie die alten Ägypter dachten. Als der Lehrer von Kopernikus erzählte, bat ich ihn, uns etwas über Kepler und Newton zu sagen, schließlich sei es doch bekannt, daß Kopernikus nicht in allen Punkten recht hatte.
Mit elf oder zwölf Jahren war ich schon sehr belesen. Zu Hause hatten wir Aschehougs und Salmonsens Konversationslexika, zusammen dreiundvierzig Bände. Je nach Stimmung und Energie hatte ich verschiedene Herangehensweisen an ein Lexikon: Ich schlug die Eintragungen zu einem bestimmten Uema nach, meistens zu etwas, worüber ich schon seit längerer Zeit nachdachte; ich blätterte manchmal stundenlang wahllos darin herum, oder ich las einen Band von Anfang bis Ende, so zum Beispiel Band 12 des Aschehoug-Lexikons von Kuhauge bis Madeira, oder Salmonsens Band XVIII von NORDLANDSTHÄLER bis PERLENINSULN. Das Bücherregal in unserem Wohnzimmer enthielt außerdem noch viele weitere Dutzend interessanter Titel. Ich begeisterte mich vor allem für dicke Werke, die alles Wissen zu einem bestimmten Uema enthielten, zum Beispiel Die Welt der Kunst, Die Welt der Musik, Der menschliche Körper, Francis Bulls Geschichte der Weltliteratur, die Norwegische Literaturgeschichte von Bull, Paasche, Winsnes und Hoem oder das Etymologische Wörterbuch der norwegischen und dänischen Sprache von Falk und Torp. Mit zwölf Jahren bekam ich von meiner Mutter Charles Chaplins
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