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Der Geschichtenverkäufer

Der Geschichtenverkäufer

Titel: Der Geschichtenverkäufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jostein Gaarder
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und Feld zu locken.
    Polizeichef MacLachlan war ein erfahrener Polizist, doch nun mußte er sich fragen, warum Mary Ann MacKenzie die grausamsten Serienmorde begangen hatte, die in Schottland jemals gesehen worden waren.
    Die wunderschöne Mary Ann erklärte, sie habe sich geschämt.
    Es war eine verzauberte Nacht gewesen, und sie konnte sich an alle Lippen erinnern, die sie geküßt hatte, und an alle begehrlichen Umarmungen, von denen sie sich mit Lust und Zärtlichkeit hatte fangen lassen. Im nachhinein aber hatte sie sich dieser Lasterhaftigkeit geschämt. Sie hätte sich auch das Leben nehmen können, aber das hätte die Sache nicht besser gemacht. Mary Ann konnte die Vorstellung nicht ertragen, daß die Gäste des Lords mit der Erinnerung weiterleben sollten, wie sie sich zwischen den Sträuchern in Hamiltons Garten halb Schottland hingegeben hatte.
    Viele standen bitterlich weinend unter dem Galgen, als Mary Ann einige Monate darauf in Glasgow ihr Leben lassen mußte.

    Im September begann ich mit dem Studium der Geschichte, Oft lud ich eine Kommilitonin zu Rotwein und Käse oder Bier und Rührei ein. Manchmal servierte ich jetzt auch ein Steak oder Hammeleintopf, Fischsuppe oder eingelegte Heringe.
    Ich erwartete täglich, daß Maria mir mitteilte, sie werde ihre Stelle in Stockholm antreten. Eines Abends rief sie an und fragte, ob sie zu Besuch kommen dürfe. Sie brachte einen großen Strauß gelber Rosen mit. Für mich, das war seltsam. Ich begriff nicht, was das sollte, wußte aber, daß etwas passiert sein mußte.
    Wir saßen vornübergebeugt am Küchentisch und hielten einander an den Händen. Ich hatte alle Lampen ausgeschaltet. Nur eine Kerze brannte zwischen uns in einem Leuchter. Wir hatten eine Flasche billigen Rotwein geleert.
    Ich freute mich über das Wiedersehen mit Maria. Nun bat ich sie, zur Sache zu kommen. Sie erzählte, sie habe die Stelle in Stockholm bekommen und werde im Dezember umziehen, und ich dachte noch, daß ich vielleicht auch gern in Schweden leben würde, doch bevor ich auch nur ein Wort herausbrachte, sagte Maria etwas, das dafür sorgte, daß ich niemals nach Stockholm gelangte.
    Sie schaute mir in die Augen und sagte, sie habe eine Bitte an mich. Eine, die fürs ganze Leben gelten sollte.
    Ich spürte, wie mir ein eiskalter Schauer über den Rücken lief. Zum ersten Mal war ich offen für etwas, das vielleicht das ganze Leben währte. Mir gefiel das Wort »währte«, es klang einfach schön.
    Sie sagte: Ich würde gern ein Kind von dir mit nach Stockholm nehmen.
    Wieder einmal spürte ich, daß ich außer ihr nie eine Frau getroffen hatte, die ich nicht immer verstand. Das war es, was mir so an ihr gefiel. Es ist möglich, einen Menschen zu lieben, den wir nicht immer verstehen.
    Sie sagte: Ich möchte von dir geschwängert werden, Petter.
    Ich begriff die Konsequenzen dieser Bitte noch nicht. Ich stellte mir noch immer vor, wie ich nach Stockholm übersiedelte. Sollte ich die Wohnung in Oslo verkaufen? Oder einfach nur vermieten?
    Maria fuhr fort, sie wolle nicht ihr ganzes Leben mit einem einzigen Mann verbringen. In der Hinsicht sei sie genau wie ich, sagte sie. Maria kannte mich gut, ich hatte ihr von meinen vielen Damenbesuchen erzählt. Ich kam mir vor wie in meine eigene Grube gefallen.
    Maria wünschte sich ein Kind von mir. Sie sagte, ich sei der einzige Mann, mit dem sie ein Kind haben wolle, das sei ihr schon bei unserer ersten Begegnung auf Ullevalseter aufgegangen, trotzdem könne sie sich nicht an mich binden. Sie bat mich, sie zu schwängern. Sie bat mich, sie zu begatten.
    Ich lachte. Ich hielt das für eine reichlich bizarre Idee, aber sie war ganz in meinem Sinne. Es war in meinem Sinne, mich derart unverbindlich fortzupflanzen.
    Wir sprachen noch lange darüber, und durchaus nicht auf tiefernste Weise. Wir scherzten und lachten. Maria wollte wieder mit mir schlafen, und diese Vorstellung war verlockend. Wir wollten miteinander schlafen, bis Maria schwanger wäre. Dann würde sie nach Stockholm umziehen müssen.
    Ich war ohnehin nicht reif genug für eine Vaterschaft. Die Frage ist, ob sich das jemals geändert hat. Allein die Vorstellung, meinem Kind in die Augen zu schauen, erschien mir abstoßend. Ich hatte es so schrecklich gefunden, wenn mir die Haare gestreichelt wurden oder mich jemand auf die Wange küßte. Wie sollte ich dann selbst Haare streicheln und Wangen küssen können?
    Ich durchdachte das Für und Wider. Ich wollte kein Kind, aber ich

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