Der Geschichtenverkäufer
Zirkusdirektor habe sich danach viele bittere Jahre hindurch jede Nacht in den Schlaf geweint, denn Panina Manina war sein Augenstern gewesen, er hatte sie mehr geliebt als den ganzen restlichen Zirkus zusammen.
Ich gab vor, eine Träne zu zerdrücken, und ich glaube, die Kleine schaute zu mir hoch. Sie schien wenigstens den letzten Teil der Erzählung verstanden zu haben, vielleicht, weil sie selber gerade noch im Wasser geplanscht hatte, deshalb fügte ich rasch hinzu:
Aber Panina Manina war nicht ertrunken. Sie hatte sich einfach auf eine kleine Entdeckungsreise begeben, während die Erwachsenen vor dem Feuer saßen und Wein tranken und Wildschweinfleisch aßen. Sie folgte einem geheimnisvollen Weg durch den Wald, und bald waren ihre Beine so müde, daß sie sich zwischen den hohen Bäumen ins Gras setzte. Sie hörte den gurrenden Tauben und den schreienden Eulen zu und versank dabei in einen tiefen Schlaf. Als sie erwachte, glaubte sie, nur wenige Minuten geschlafen zu haben, aber in Wirklichkeit war die ganze Nacht und mehr vergangen, denn jetzt stand die Sonne hoch am Himmel. Panina Manina ging den Weg zurück, um das Lagerfeuer zu finden, aber sie konnte keinen einzigen Zirkuswagen entdecken und hatte sich bald im Wald verirrt. Am späten Abend fand sie eine Lichtung mit einem roten Häuschen und einem Fahnenmast, an dem die schwedische Fahne hing. Vor dem roten Häuschen stand ein rosa Wohnwagen, vielleicht zog der Panina Maninas Aufmerksamkeit auf sich, denn er hatte große Ähnlichkeit mit einem Zirkuswagen. Sie war erst drei Jahre alt, aber sie ging zum Wohnwagen hinüber und klopfte an die Tür. Als niemand aufmachte, kletterte sie die kleine Steintreppe vor dem roten Häuschen hoch und klopfte dort an die Tür. Die Tür öffnete sich, und eine alte Frau kam heraus. Panina Manina hatte keine Angst, vielleicht, weil sie ein echtes Zirkusmädchen war. Sie schaute zu der Fremden hoch und sagte, sie habe ihren Vater verloren - doch das sagte sie in einer Sprache, die die andere nicht verstand, denn Panina Manina kam aus dem Land in der Ferne, das die alte Frau niemals besucht hatte. Panina Manina hatte seit fast zwei Tagen nichts mehr gegessen, jetzt hob sie ihre Händchen an den Mund, um zu zeigen, daß sie Hunger hatte. Da begriff die Frau, daß das Kind sich im Wald verirrt hatte und holte es ins Haus. Panina Manina bekam Hering und Frikadellen und Brot und Blaubeersaft, und sie hatte solchen Hunger und solchen Durst, daß sie wie eine Erwachsene zulangte. Am Abend machte die Frau ihr ein Bett, und da sie nicht miteinander reden konnten, sang sie ihr schwedische Schlaflieder vor, bis sie eingeschlafen war. Weil sie den Namen des Mädchens nicht kannte, nannte sie es nur »Goldi«.
Goldi schaute wieder zu mir hoch, vielleicht, weil ich ihr mit den Händen zeigte, wie Panina Manina Heringe und Frikadellen gegessen hatte, aber vielleicht war ihr auch aufgefallen, daß das Kind in der Geschichte Goldi hieß. Ich wußte nicht, ob sie von der eigentlichen Erzählung viel begriffen hatte, aber ich machte weiter:
Panina Manina wohnte noch viele Jahre in dem roten Häuschen. Kein Mensch in ganz Schweden konnte ihre Eltern ausfindig machen, und im Laufe der Jahre erinnerte sie sich immer weniger an den Zirkusdirektor. Bald sprach sie fließend Schwedisch und vergaß ihre eigene Sprache, die sie ja mit niemandem mehr sprechen konnte. Aber - an dieser Stelle hob ich einen Zeigefinger, um zu betonen, daß jetzt etwas Wichtiges kam, das ich bisher vergessen hatte - die Frau im roten Häuschen hatte im Schlafzimmerschrank eine alte Kristallkugel. Vor vielen, vielen Jahren nämlich hatte sie ihren Lebensunterhalt als Wahrsagerin auf einem großen Rummelplatz in Lund verdient. Jetzt holte sie die Kristallkugel hervor und prophezeite, daß Goldi eines Tages eine berühmte Trapezkünstlerin werden würde. Von da an ließ sie sie an Brettern und Seilen und Eimern und Gefäßen üben, und eines Tages konnte Goldi ihre Künste einem richtigen Zirkusdirektor vorführen. Das war dreizehn Jahre, nachdem sie zum ersten Mal an die Tür der alten Frau geklopft hatte. Die hatte in der Zeitung gelesen, daß ein berühmter ausländischer Zirkus nach Stockholm gekommen sei, und so fuhren sie beide in die schwedische Hauptstadt, um ihr Glück zu versuchen. Es handelte sich um denselben Zirkus aus dem Land in der Ferne, der dreizehn Jahre zuvor in Stockholm gewesen war, aber Panina Manina konnte sich an nichts mehr erinnern. Sie wußte
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