Der Geschichtenverkäufer
verheimlichen, wie das Kind wirklich hieß. Sie war fast drei Jahre alt, als ich sie zum letzten Mal sah. Dann wurde unser feierlich geschlossener Pakt erneuert, es mußte unsere letzte Begegnung sein. Die Kleine solle sich kein Bild von ihrem Vater machen, erklärte Maria. Und ich mir keins von ihr, ich war ja kein richtiger Vater.
Es war ein reizendes kleines Mädchen. In meinen Augen ähnelte sie weder Maria noch mir, aber ich konnte deutlich eine Ähnlichkeit mit meiner Mutter erkennen: die gleichen hohen Wangenknochen und der gleiche Abstand zwischen den Augen. Ich stellte mir vor, meine Mutter sei wiedergeboren worden und ich hätte ihr diese neue Chance gegeben. Mir war natürlich klar, daß ich nur phantasierte.
Meine letzte Begegnung mit Maria und der Kleinen fand an einem warmen Juniabend des Jahres 1975 statt. Wir verbrachten nur einige Stunden miteinander und gingen zum Sognsvann. Wir nahmen Krabben, Weißbrot und Weißwein mit. Maria und ich schwelgten in alten Erinnerungen, während die Kleine mit einem aufblasbaren Schwan im Wasser planschte. Als sie aus dem Wasser kam und nach Saft und Plätzchen verlangte, war ich es, der sie in ein Frotteehandtuch wickelte und sie abtrocknete, das hatten Mutter und Tochter mir erlaubt. Ich half ihr auch beim Anziehen. Maria hatte schließlich vorausgesagt, daß ich einen »wunderbaren Papa« abgeben würde.
Goldi blieb zwischen mir und Maria auf dem Handtuch sitzen, und ich erzählte ihr ein langes Märchen. Sie lachte, noch ehe ich richtig angefangen hatte. Ich weiß nicht, ob sie alles verstand, jedenfalls versuchte ich, einige schwedische Brocken einzuflechten, um es ihr leichter zu machen.
Ich erzählte von einem kleinen Mädchen in ihrem eigenen Alter, das Panina Manina hieß und die Tochter des Direktors des größten und schönsten Zirkus auf der ganzen Welt war. Der Zirkus kam aus einem Land in weiter Ferne, doch einmal, vor langer, langer Zeit, war er unterwegs nach Stockholm, um das Zirkuszelt mitten in Gröna Lund, dem großen Park in der schwedischen Hauptstadt, aufzuschlagen, der König und die Königin von Schweden hatten ihn eingeladen. In einer langen, langen Reihe fuhren die vielen Zirkuswagen durch Schonen und Smaland, und sie führten Elefanten und Seelöwen, Bären und Giraffen, Pferde und Kamele, Hunde und Affen mit sich. In den Wagen saßen Clowns und Jongleure, Fakire und Seiltänzer, Dompteure und Kunstreiter, Musikanten und Zauberkünstler. Das einzige Kind in diesem großen Zug war Panina Manina. Sie wurde wie eine kleine Prinzessin behandelt, weil sie die Tochter des Zirkusdirektors war, und es hieß, das Schicksal werde aus ihr einmal eine berühmte Zirkusartistin machen.
Die Kleine saß kerzengerade da und hörte mir zu, sagte jedoch kein Wort, darum war ich nicht sicher, wieviel sie verstanden hatte. Ich stellte mir vor, daß sie doch immerhin die Stimmung in dem Märchen erfaßte. Ich schaute zu Maria hinüber, die gab mir ein Zeichen weiterzureden. Ich glaube, sie fand es gut, daß die Kleine wenigstens ein Märchen mitnahm. Jetzt hatte sich außerdem Meter vor einen Baum gesetzt, um sich den Rest der Geschichte anzuhören. Als er sich setzte, hob er seinen grünen Hut und zwinkerte mir vertraulich zu. Ich glaube, er war in großartiger Stimmung. Vielleicht fühlte er sich zum ersten Mal als Familienmitglied.
Ich erzählte von den vielen großen Treckern und Zirkuswagen, die tief in den schwedischen Wäldern zur Mittagspause anhielten, in einem See dort wollte die Tochter des Zirkusdirektors im Wasser planschen. Der Zirkusdirektor glaubte, die Clowns paßten auf sie auf, doch die Clowns hatten etwas mißverstanden und glaubten, daß sei die Aufgabe des Dompteurs, während die anderen über einem großen Feuer Wildschweine brieten. Als die vielen Wagen einige Stunden später losfahren wollten, war Panina Manina nicht zu finden. Sie suchten den ganzen Abend und die ganze Nacht nach ihr, auch viele Tiere wurden freigelassen, um ihre Witterung aufzunehmen, aber es half alles nichts. Als sie auch den folgenden Tag vergeblich gesucht hatten, glaubten alle, Panina Manina sei im See ertrunken. Zwei Kamele blieben lange am Wasser stehen und tranken, sie tranken und tranken, und viele meinten, daß sie Panina Manina vielleicht im Wasser riechen könnten, vielleicht versuchten sie deshalb, den See zu leeren. Doch schließlich hatten die Kamele keinen Durst mehr, und die Tochter des Zirkusdirektors war und blieb verschwunden. Es heißt, der
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