Der Geschichtenverkäufer
nach ihr keine andere würde lieben können, und sie hat dafür gesorgt, daß es keinen Weg zurück gab. Sie hat etwas zwischen uns gestellt.
Es ist das erste Mal, daß ich auf diese Weise an Maria denke. Das überrascht mich. Es ist, als käme ich zum ersten Mal seit Mutters Tod wieder wirklich zu mir. Vater ist vor einem Jahr gestorben. Ich glaube, ich habe Mutter sehr geliebt.
Ich lebe noch immer in dem Gefühl, etwas Wichtiges vergessen zu haben. Es kommt mir vor, als hätte ich mein Leben lang hartnäckig versucht, mich an ein Ereignis aus meiner frühen Kindheit zu erinnern. Noch ist es nicht ganz verschwunden, es schwimmt noch immer in der dunklen Tiefe, unter dem dünnen Eis, auf dem ich getanzt habe. Wenn ich mich allerdings entspanne und mein Gedächtnis danach durchsuche, kommt mir statt dessen eine gute Idee, und ich fange an, mir eine Geschichte auszudenken.
Immer häufiger fürchte ich mich jetzt vor meinem eigenen Bewußtsein. Es kommt mir vor wie ein Spuk, über den ich keine Kontrolle habe.
Meine Phantasie war es, die Maria Angst gemacht hat. Sie war fasziniert und hat sich zugleich gefürchtet.
Als Maria mich verlassen hatte, stand mir die Welt offen, es erschien mir auch als Befreiung. Es dauerte lange, ehe ich mich wieder um andere Frauen kümmerte, ich gab auch den Kontakt zu den Kommilitoninnen auf. Ich fühlte mich zu erwachsen für einen Studenten. Seit dem Tod meiner Mutter hatte die Welt nicht mehr so sperrangelweit offengestanden.
Ich dachte viel an den jungen Autor, der eine Flasche Wein und hundert Kronen für eine Romanidee bezahlt hatte. Zu Hause hatte ich noch Dutzende von Notizen dieser Art. Sein Roman erschien zwei Jahre später und wurde von der Kritik begeistert aufgenommen.
Ich ging viel in den Club 7, in den Casino-Keller und ins Künstlerhaus. Es war leicht, mit Leuten ins Gespräch zu kommen. Bald kannte ich fast alle in der Stadt, mit denen ein Gespräch lohnte. Das Problem war nur, daß ich dauernd in Geldnöten steckte.
Ich galt als aufgeweckter und phantasievoller junger Mann, natürlich. Meine Gesprächspartner waren immer älter als ich, viele waren Träumer und Tagediebe, und die meisten hatten künstlerische Ambitionen oder hielten sich wenigstens für Künstlerseelen. Ich hielt sie für borniert. Manche hatten ein Lyrikbändchen oder einen Roman veröffentlicht, andere behaupteten zu schreiben oder schreiben zu wollen. Wer das nicht behauptete, hatte das Gefühl, es fehle ihm an Legitimität. In dieser Szene nahm ich meine Tätigkeit auf.
Wenn in geselliger Runde jemand zu schreiben oder schreiben zu wollen behauptete, fragte ich nach, worüber sie denn schreiben wollten. Die Antwort blieben sie mir meistens schuldig. Ich fand das seltsam. Schon damals - und seither immer mehr - habe ich es komisch gefunden, daß unsere Kultur Menschen en masse hervorbringt, die schreiben können und wollen, aber nichts zu sagen haben. Warum wollen sie schreiben, wenn sie offen und ehrlich zugeben, daß es nichts gibt, was sie vermitteln könnten? Können sie nichts anderes tun? Woher dieser Drang, etwas zu bewirken, ohne tätig zu werden? Für mich hat sich die Lage immer umgekehrt dargestellt. Ich war immer schwanger, hatte aber nie das Bedürfnis, ein Kind in die Welt zu setzen. Ich meine das auch wortwörtlich. Die Geschichte mit Maria war etwas anderes, da war es Maria, nach der ich ein Bedürfnis hatte.
Ich führte damals Tagebuch, aber es war nicht zur Veröffentlichung bestimmt, es handelte sich nur um Gedankensplitter, die ich für mich selber festhielt, um eine Art Kontemplation. In dieses Tagebuch schrieb ich:
Ich werde niemals einen Roman schreiben. Ich könnte mich nicht auf eine einzige Geschichte konzentrieren. Wenn ich mit der einen anfange, zieht sie sofort vier oder acht andere nach sich. Es wäre eine Heidenarbeit, alles im Blick zu behalten, mit dicken Schichten von Rahmenerzählungen und einem wilden Gewimmel von eingeschobenen Geschichten mit mehreren Erzählern auf verschiedenen Erzählebenen, also das, was manche als chinesische Schachtel bezeichnen. Denn ich muß immer denken, immer neue Ideen aushecken. Es geht um etwas fast Organisches, etwas, das von selber kommt und geht. Ich ertrinke in meinem eigenen Überschwang, ich bin immer zum Bersten gefüllt. Mein Gehirn blutet immer wieder neue Gedanken aus. Vielleicht mag ich deshalb Barhocker so gern. Darauf kann ich mich erleichtern.
So kam es zu einer Symbiose. Ich fand es leicht, Ideen
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