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Der Geschichtenverkäufer

Der Geschichtenverkäufer

Titel: Der Geschichtenverkäufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jostein Gaarder
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irgendein Kritiker erklärte, einer der Romane des Jahres baue auf einer Wandergeschichte auf, die schon lange von Mund zu Mund gehe, der Rezensent habe sie erst kürzlich abends im Tostrupkjelleren gehört. Ich mußte einen Unterschied machen zwischen Geschichten, die ich erzählen konnte, und den Handlungsverläufen, die ich beruflich nutzen wollte. Ich mußte meine orale Entfaltung begrenzen. Es war eine gute Herausforderung, mit dieser Einschränkung zu leben. Sie zwang mich dazu, mir immer wieder Neues auszudenken.
    Mit einer nicht unbedeutenden Ausnahme von dieser Regel mußte ich jedoch vom ersten Moment an leben. Ich hatte Maria so viele gute Geschichten erzählt, daß ich fand, sie nicht alle aus dem Spiel lassen zu können. Wenn Maria in den achtziger und neunziger Jahren norwegische Romane gelesen hat, muß sie öfter belustigt aufgelacht haben. In späteren Jahren konnte sie sich auch bei der Lektüre ausländischer Romanliteratur in die Zeit zurückträumen, als sie noch in meinen Armen lag. Ich habe auch einige Filmsynopsen auf dem Gewissen oder, wie man es auch sehen kann, auf der Liste meiner Verdienste. Mir gefällt die Vorstellung, daß Maria ins Kino ging und die großangelegte Verfilmung einer der vielen Geschichten sah, die ich mir für sie ausgedacht hatte, wenn wir uns liebten. Irgendeine andere Anerkennung meines Urheberrechts habe ich nie gebraucht.
    Maria war also die einzige, die in mir von Anfang an die Spinne hätte erkennen können. Natürlich erzählte ich den Autoren nichts von Maria und Maria nichts von den Autoren, auch wenn ich bei unserer letzten Begegnung schon gut im Geschäft war. Nicht, weil ich Angst vor ihr gehabt hätte; schließlich hatte auch sie meine Dienste in Anspruch genommen. Ihr Goldkind war vom Heiligen Geist empfangen worden, und sie konnte nicht wollen, daß diese Geschichte bekannt wurde. Vielleicht hatte sie davor ebenso große Angst wie Johannes vor der Blamage, wenn herauskam, daß die zwanzig Aphorismen, denen er seinen ersten großen Romanerfolg verdankte, von mir stammten. In dieser Hinsicht saß Maria im selben Boot wie Johannes, allerdings nur in dieser.
    Wenn etwas verkauft war, existierte es nicht mehr für mich. Das war wirklich kein Problem. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, mir könnten die Ideen ausgehen, das war die einzige Vorstellung, die mir vollkommen fremd war. Ich war als Kind viel allein gewesen, ich hatte schon mit achtzehn meine eigene Wohnung gehabt, ich hatte mich schon seit dem Kindergarten vorbereitet.
    Trotzdem behielt ich eine Fotokopie aller Notizen, die ich verkaufte, und heftete sie in Ordner mit der Aufschrift »Verkauft«. Oben auf die Seiten schrieb ich, wem ich sie für welchen Betrag verkauft hatte. Anfangs war das mein einziges Quittungssystem; damals war mir noch nicht klar, daß sich daraus einmal ein äußerer Gegendruck zu dem Druck aufbauen könnte, der von innen kam. Ich hatte noch kein Diktafon in der Jackentasche, wenn ich mich mit Autoren unterhielt, und nahm auch Telefongespräche noch nicht auf Band auf. Ich verwahrte nur Fotokopien aller Schecks, die ich entgegennahm, von Anfang an. Damit das klar gesagt ist: sie liegen zusammen mit den Tonbändern in einem Bankschließfach.
    Mein Geschäft begann zur selben Zeit zu florieren, als die Fotokopierer in Mode kamen. Für kurze Zeit war ich von den Kopierern in der Universität abhängig, doch bald hatte ich meinen eigenen Rank Xerox. Als in den achtziger Jahren die PCs auf den Markt kamen, wurde die Büroarbeit sehr viel einfacher, und seit ich meine Tätigkeit auf das Ausland ausweitete, hatte ich immer einen leistungsfähigen Laptop bei mir.
    Ich mußte es ertragen, mich in einem weiten Bekanntenkreis zu bewegen. Ab und zu konnte das eine Zumutung sein, schwer war es jedoch nicht. Ich war ein umgänglicher Mensch, alle mochten mich, und ich bezahlte nur selten meinen Anteil der Restaurantrechnung. Ich wußte nicht warum, aber wenn es ans Bezahlen ging, übernahm das fast immer jemand anders, ich machte mir darüber keine Gedanken.
    Ich galt als wahre Schatzkammer von Ideen. Dabei ahnte niemand, daß alle nur die Spitze des Eisbergs sahen. Wie hätte ich meine Umsätze machen sollen, wenn die Klienten erkannt hätten, daß ich ein feinmaschiges Netz spann, das eines Tages so groß und brüchig werden und so viele lose Fäden enthalten sollte, daß es einfach reißen mußte?.
    Wenn wir an einem Kneipentisch saßen, konnten mehrere der Anwesenden auf meiner

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