Der Geschichtenverkäufer
unglaubwürdig gewesen, wenn es in der Stadt plötzlich von Mehrfachtalenten gewimmelt hätte. Es gab nur einen Zuchtbullen, doch der konnte in seiner Brunst eine ganze Autorenherde befruchten.
Von einer einzigen Ausnahme abgesehen, versorgte ich Johannes deshalb ausschließlich mit Gedankensplittern und Aphorismen, mit »Würze«, wie er es einmal selber nannte. Da er einer der Organisatoren der marxistisch-leninistischen Maidemonstration war, schob ich ihm im Laufe der Jahre auch etliche witzige Vorschläge für Parolen und Slogans zu, für die ich jedoch kein Honorar nahm.
Die Ausnahme war das Sujet zu einer Geschichte aus Vietnam. Auf dem Blatt, das er für einen Hunderter einstecken durfte, stand sinngemäß:
E ineiige Zwillinge werden zu Beginn der fünfziger Jahre im Abstand von wenigen Minuten in einem kleinen Dorf im Mekong-Delta geboren. Ihre Mutter wird von französischen Soldaten vergewaltigt und ermordet, als die Knaben noch kein halbes Jahr alt sind, deshalb werden sie von verschiedenen Familien adoptiert und wachsen auf, ohne einander je wiederzusehen. Der eine Zwilling schließ sich der FNL an, der andere dem von den USA gestützten Regierungsheer. Nach der Tet-Offensive stehen die beiden Brüder einander im Dschungel gegenüber. Beide sind vor einer größeren Schlacht als Späher ausgesandt worden, nun stehen sie sich von Angesicht zu Angesicht gegenüber, sonst ist kein Mensch in der Nähe. Sie sind einander wie aus dem Gesicht geschnitten, und beide wissen sofort, daß sie ihren Zwillingsbruder vor sich haben. Dennoch muß einer von ihnen sterben. Beide greifen genau gleich schnell zum Dolch, sie besitzen nicht umsonst dieselben Erbeigenschaften, und verletzen einander tödlich.
Einige nützliche Stichwörter: die Entscheidung der beiden und die Logik des Krieges ausführlich behandeln. Wer seinen Bruder nicht umbringt, riskiert selber den Tod. Können die Brüder noch etwas zueinander sagen, ehe sie ihr Leben aushauchen? Kommt ihnen eine neue Erkenntnis (ein kleiner Dialog an dieser Stelle?)? Nicht das Schlachtfeld selber vergessen, die beiden sterbenden Zwillinge, die einmal, im Leib der Mutter und später an ihrer Brust, miteinander Frieden gehalten haben, die sich nun aber gegenseitig töten. Der Ring hat sich geschlossen. Sie wurden in derselben Stunde geboren, jetzt fließt ihr Blut in einer einzigen Lache zusammen. Wer findet die Zwillinge? Welche Reaktion ruft dieser Fund hervor?
Johannes machte daraus eine längere Novelle. Als ich sie ein Jahr später in einer Literaturzeitschrift las, fand ich sie gut geschrieben, nicht zuletzt beeindruckten mich seine ausführlichen Waffenkenntnisse und die prägnanten Milieubeschreibungen aus Vietnam. Dennoch war ich enttäuscht.
In Johannes’ Version endete die Sache natürlich damit, daß der Zwilling, der für die Befreiungsarmee kämpfte, es nicht über sich brachte, seinen Bruder zu töten, obwohl der Bruder zum Lakaien des US-Imperialismus geworden war. Weshalb er selbst brutal liquidiert wurde.
Im Laufe der Novelle wurden mehrmals die Adjektive »gerissen« und »heldenhaft« verwendet, sie bezogen sich jedoch nie auf denselben Zwillingsbruder. Johannes hatte die Tatsache, daß es sich um eineiige Zwillinge handelte, ausführlich genutzt. Er hatte die Geschichte als Beispiel dafür genommen, wie wenig die Erbeigenschaften die Entwicklung eines Menschen beeinflussen.
Ich will nicht behaupten, ich sei von dieser Wendung schockiert gewesen, sie kam schließlich nicht überraschend. So war ein Großteil der Literatur der siebziger Jahre. Die Literatur damals sollte nicht in erster Linie Probleme unter die Lupe nehmen. Sie sollte erbaulich sein.
Innerhalb weniger Jahre konnte ich meine Tätigkeit landesweit etablieren; und zusätzlich knüpfte ich Kontakte in den anderen nordischen Ländern. Mir auch anderswo in der Welt einen Kundenstamm aufzubauen, würde länger dauern, dessen war ich mir bewußt. Skandinavien war meine erste Etappe.
Ein wichtiges Prinzip war, daß nichts mehr als einmal verkauft wurde. Es konnten nicht im selben Jahr zwei Kriminalromane von zwei verschiedenen Autoren erscheinen, die beide auf genau demselben Handlungsverlauf aufbauten. Ich stellte es mir nur gern vor, denn es wäre zweifellos hochinteressant gewesen zu sehen, was zwei Autoren aus ein und derselben Idee machten.
Ich mußte außerdem sorgfältig überlegen, welche Geschichten ich in heiterer Runde erzählte. Ich durfte nicht riskieren, daß
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