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Der Geschichtenverkäufer

Der Geschichtenverkäufer

Titel: Der Geschichtenverkäufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jostein Gaarder
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lassen sich kulturelle Grundwerte innerhalb nur einer Generation auf den Kopf stellen. In den fünfziger und sechziger Jahren durfte niemand ungestraft den Wunsch verkünden, später einmal berühmt zu werden. Damals mußte man sich mit dem Zukunftsbild Arzt oder Polizist begnügen. Das ist heute anders. Zuerst beschließt man, berühmt zu werden; wie man das bewerkstelligen will, ist schon weniger wichtig. Und es spielt so gut wie keine Rolle, ob man den Ruhm dann auch verdient hat. Schlimmstenfalls muß man sich damit begnügen, im Reality-TV den letzten Arsch zu geben, im allerschlimmsten Fall begeht man ein Verbrechen. Ich habe dieser Entwicklung vorgegriffen, so, als hätte ich gewußt, daß es eines Tages vulgär sein würde, berühmt zu sein. Vulgär zu erscheinen habe ich immer vermieden.
    Johannes sagte: Du bist ein komischer Kauz, Petter.
    Ich legte die Blätter mit den zwanzig Aphorismen auf den Tisch, und er begann zu lesen. Das Mißtrauen war ihm deutlich anzumerken.
    Und das hast du geschrieben? fragte er. Nicht irgendwo abgekupfert?
    Mir schauderte. Die bloße Vorstellung war so widerwärtig, daß ich meinen Ekel kaum unterdrücken konnte. Ich gab ja nicht einmal das, was ich selbst geschrieben hatte, als etwas Eigenes aus.
    Ich hatte ihn neugierig gemacht, das war klar zu sehen, aber noch immer stand mir eine komplizierte Schachpartie bevor. Ich wollte jedes Mißverständnis ausschließen, das erste Mal erschien mir als etwas Besonderes. Ich hatte die klare Vorstellung, daß ich hier und heute eine dauerhafte Tätigkeit beginnen würde; ich stand vor dem Examen, das über mein künftiges Auskommen entscheiden würde. Wenn ich jetzt durchfiele, würde ein neuer Versuch schwerer.
    Ich sagte, unter gewissen Voraussetzungen könne er die zwanzig Aphorismen haben und sie verwenden, als wären sie von ihm. Er staunte: Soll das ein Scherz sein, Petter?
    Ich hielt ihm einen kleinen Vortrag, und am Ende hatte er begriffen. Ich sagte, ich könne die Vorstellung, im Licht der Öffentlichkeit zu stehen, nicht ertragen, in den Kulissen fühlte ich mich einfach wohler und meine Anonymität sei mir heilig. Vorsichtshalber begründete ich meine Entscheidung auch auf zeitgemäße Weise: Ich bin zu dem Schluß gekommen, sagte ich, daß es politisch nicht korrekt ist, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Wieso sollte eine beredte Elite sich gewissermaßen über die Massen erheben? Wäre es nicht besser, wenn alle eine kollektive Tatkraft zu entwickeln versuchten? Ich schwafelte von Basisdemokratie und radikalen Wurzeln, vielleicht benutzte ich auch den Ausdruck »an der Werkbank«, der damals oft als schlagendes Argument herhalten mußte. Schließlich brachte ich die Anonymität der Künstler des Mittelalters ins Spiel. Niemand weiß, wer die Artussagen oder die Edda geschrieben hat, sagte ich. Und ehrlich, Johannes, findest du, daß das eine Rolle spielt?
    Er schüttelte den Kopf. Johannes war Marxist-Leninist. Also fügte ich schnell hinzu, daß diese Überlegungen selbstverständlich nur für mich gälten, sie seien etwas ganz Persönliches. Ich sagte, ich hätte seine beiden Romane gelesen und sähe natürlich den Wert, der darin lag, daß jemand es auf sich nahm, als Sprachrohr des Volkes zu fungieren. Es sei nur nicht meine Sache.
    Langsam ging Johannes auf, daß er mit den zwanzig Aphorismen bald in Stein gehauen oben vor dem Nationaltheater stehen könnte. Doch zuvor war noch viel zu regeln, und ich schnitt zuerst das Uema Finanzen an. Ich sagte, ich sei knapp bei Kasse und deshalb bereit, die Aphorismen für fünfzig Kronen das Stück abzugeben, er könne aber auch alle zwanzig für achthundert haben. Erst glaubte ich, ich sei zu weit gegangen. Achthundert Kronen waren damals viel Geld, für Autoren genauso wie für Studenten. Aber Johannes schien keinen Rückzieher machen zu wollen. Es waren zwanzig ungewöhnlich prägnante Aphorismen; ich hatte einen ganzen Vormittag gebraucht, um sie mir auszudenken. Ich sagte, er könne sich auch nur die aussuchen, die ihm am besten gefielen, und sie stückweise bezahlen, aber vielleicht sei es schade, sie auseinanderzureißen. Ich hätte schon beim Schreiben an ihn, Johannes, gedacht und fände die Vorstellung schrecklich, das Urheberrecht an meinen Texte an mehr als nur eine Person abzutreten.
    Schon gut, sagte Johannes. Ich nehme sie alle.
    Ich sagte, über Geld zu reden sei mir zwar peinlich, andererseits lebten wir nun mal in einer kapitalistischen Gesellschaft, in der

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