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Der Geschichtenverkäufer

Der Geschichtenverkäufer

Titel: Der Geschichtenverkäufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jostein Gaarder
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Italienerin. Ich sagte, daß ich nicht rauchte, und entdeckte im selben Augenblick auf dem Nebentisch ein Feuerzeug. Ich holte es mir, ohne die deutschen Touristen um Erlaubnis zu fragen, und gab ihr Feuer; dann legte ich das Feuerzeug zurück und nickte zum Dank. Nachdem ich gegessen und bezahlt hatte, winkte ich der Frau zum Abschied zu. Sie zeichnete auf einen Skizzenblock, lächelte geheimnisvoll und winkte zurück. Ich war sicher, daß ich ihr noch nie begegnet war, denn ihr Gesicht hätte ich mir zweifellos eingeprägt.
    Ich ging weiter durch die Stadt und besuchte das in einer alten Papiermühle gelegene Museo della Carta. Ein älterer Mann führte vor, wie die Holzmasse zuerst zermahlen und dann gepreßt und getrocknet wurde. Er stellte noch immer auf die alte Weise Papier her, eine Tradition, die sich bis ins 12. Jahrhundert zu den Arabern zurückverfolgen ließ, wie er erzählte. Er zeigte mir das erlesene Briefpapier, das er produzierte, und demonstrierte, wie ein Wasserzeichen entsteht.
    Es war warm, aber ich wollte noch ein letztes Mal das Valle dei Mulini besuchen, ehe ich Amalfi verließ. Ich war schon einmal dort oben gewesen, doch auch beim zweiten Mal waren die Gassen, die aus der Stadt hinausführten, nicht leicht zu finden. Dennoch lag die Zivilisation bald hinter mir.
    Auf beiden Seiten des Weges waren üppige Zitronenhänge angelegt worden. Die Bäume waren mit schwarzen und grünen Nylonnetzen bespannt, die die Zitronen vor Wind und Hagelschauern schützen sollten. Ich grüßte ein kleines Mädchen, das mit einem alten Reifen spielte, und sagte kein Wort zu der schwarzgekleideten Frau, die sich eine Woche zuvor aus einem Fenster gebeugt und mir ein Glas Limoncello gereicht hatte. Die Ostersonne hatte Hunderte von kleinen Eidechsen hervorgelockt. Sie waren schreckhaft. Hier kamen wohl nicht oft Menschen vorbei.
    Ich passierte das letzte Haus und erreichte ein altes Aquädukt. Ich folgte einem mit Kies bestreuten Wanderweg, der Via Paradiso, was ein passender Name war. Aus der Via Paradiso wurde bald ein idyllischer Ziegenpfad im fruchtbaren Talgrund am Flußufer.
    Bei meinem letzten Gang hier war ich keiner Menschenseele begegnet, jetzt aber hörte ich hinter mir auf dem Weg Zweige knistern. Gleich darauf hatte sie mich eingeholt. Die Frau in dem gelben Kleid.
    Sie begrüßte mich, noch immer auf italienisch, und lächelte breit, fast, als hätte sie damit gerechnet, mich hier zu finden. Sie hatte tiefe braune Augen und üppige, dunkelblond gelockte Haare.
    Hallo, erwiderte ich. Ich schaute mich wachsam um, aber sie war allein.
    Es ist so schön hier oben, sagte sie. Warst du schon mal hier?
    Einmal, sagte ich.
    Sie konnte offenbar nicht hören, daß ich Ausländer war. Sie zeigte auf einen Wasserfall fünfzig Meter vor uns. Dann fragte sie: Wollen wir baden?
    Diese Frage allein reichte, um mich zu der Überzeugung zu bringen, daß ich die Frau meines Lebens gefunden hatte. Wir hatten einander noch nie gesehen, sie trug weiße Sandalen und dazu nur ein dünnes Sommerkleid. Es war sehr warm, wir waren beide nicht in Abendrobe, aber ein gemeinsames Bad war doch ein reichlich salopper Vorschlag.
    Wollen wir baden? Die drei Wörter brodelten vor Bedeutung. Sie meinte, daß wir gemeinsam in den Wasserfall hinausgehen sollten, und meinte es auch wieder nicht. Sie wollte sagen, daß die Sonne brannte. Sie hatte auf den Wasserfall gezeigt und gesagt, schön und erfrischend, verlockend. Sie hatte die kurze Frage gestellt, um meine Reaktion zu testen. Sie hatte gesagt, daß ich ihr gefiele. Jetzt wollte sie sehen, was ich dazu zu sagen hatte. Sie wollte sehen, wie ich das Tanzbein schwang. Sie legte die Tonart fest, die drei Wörter waren eine Stimmgabel. Die Frau in dem gelben Kleid hatte gesagt, sie wolle gern mit mir zusammen weitergehen, könne auf angestrengte Konversation jedoch verzichten. Sie glaubte, wir hätten nichts, dessen wir uns schämen müßten.
    Ich dachte an Luigis Warnung. Deshalb sagte ich: Morgen vielleicht.
    Sie legte den Kopf ein wenig schräg. Sie hatte mich auf die Probe gestellt, ich hatte die beste Antwort gegeben, auf die sie hoffen konnte. Es war eine salomonische Antwort. Wenn ich mir jetzt sofort das Hemd vom Leib gerissen und den Gürtel aufgemacht hätte, hätte ich mich blamiert. So wortwörtlich war ihr Vorschlag nicht gemeint. Er war ein Rätsel gewesen. Hätte ich geantwortet, daß ich natürlich mit einer Unbekannten nicht in einem Wasserfall baden wolle, hätte ich

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