Der Geschichtenverkäufer
aufzubewahren, an dem ich mich nicht selber aufhielt. Luigi könnte meinen Text seinem Freund zeigen, der für den Corriere della Sera schreibt, und ihn das Material nach Gutdünken verwenden lassen. Es lag in meinem Interesse, diese Geschichte so schnell wie möglich veröffentlichen oder zumindest bekannt werden zu lassen. Danach mußte ich das Land so schnell wie möglich verlassen; wer vogelfrei ist, soll nicht zu viele Tage an einem Ort verbringen.
Als ich am nächsten Morgen erwachte, beschloß ich dennoch, einen Tag in Amalfi zu verbringen, ehe ich weiterzog. Es war der Karsamstag, es war strahlendes Wetter, und ich hatte das Papiermuseum noch nicht besucht. Nach dem Frühstück ging ich in die Stadt und kaufte den Corriere della Sera , das hatte ich seit Bologna jeden Tag getan. In einem kurzen Bericht über die Buchmesse hatte zwei Tage zuvor gestanden, daß es in diesem Jahr dort keinen Überraschungstitel gegeben habe, auf den alle Verleger sich eine Option sichern wollten, ein neuer Harry Potter sei nicht in Sicht. Von etwas anderem sei in diesem Jahr gemunkelt worden, von der Spinne, wie es hieß. Hinter dem geheimnisvollen Namen verberge sich eine moderne Phantasiefabrik (sie!), die literarische Ideen und zur Hälfte vorgefertigte Romane an Autoren in aller Welt verkaufe. Der Autor des Artikels, ein gewisser Stefano Fortechiari, erinnerte daran, daß in alten Zeiten einflußreichen Schriftstellern ganze Bibliotheken von Büchern zugeschrieben worden waren, die in Wirklichkeit von verschiedenen Autoren stammten. Bei der Phantasiefabrik sei das genaue Gegenteil der Fall. Mehrere Dutzend, vielleicht einige hundert Romane basierten in Wirklichkeit auf Ideen und Entwürfen von ein und derselben Person. Ich mußte lachen, als ich das las. Ich hatte wahrhaftig Spuren hinterlassen.
Dann kam der Autor auf einen interessanten Punkt zu sprechen, und das von ihm beschriebene Phänomen war nicht so neu, wie man meinen könnte. Die Kirchenmänner hatten es mit den Büchern der Bibel genauso gehalten. Die Bibel wurde natürlich von vielen verschiedenen Autoren geschrieben, doch die Theologen glauben, daß hinter der biblischen Bibliothek ein sammelnder Metaautor steht. Sie meinen nicht notwendigerweise, daß Gott jeden Satz in der Bibel inspiriert habe, das ist nicht Gottes Arbeitsweise. Sie glauben aber, er habe jedem dieser Autoren ein Stichwort gegeben. Gott hat ihnen etwas zu denken gegeben.
Ich hatte tiefes kollegiales Verständnis dafür, wie Gott mit den Menschen arbeitete. Auch er verlangte gewisse Gegenleistungen, er forderte alles zwischen Lobpreisungen und Bußübungen. Aber er ging weiter als ich: er drohte alle auszurotten, die nicht an ihn glaubten, und unter solchen Bedingungen wollten moderne Menschen nicht mehr leben. Jetzt war Gott tot, und die Verschwörung der Frustrierten war es, die ihn ermordete.
Stefano Fortechiari. Sein Artikel machte es unwahrscheinlich, daß Luigi geblufft hatte, aber er war nur ein Indiz. Nichts in diesem Artikel wies daraufhin, daß derselbe Journalist zuvor schon einmal über die »Phantasiefabrik« geschrieben hatte; der heutige Artikel hätte auf dem langen Gespräch gründen können, das ich in Bologna mit Luigi geführt hatte. Der Artikel erwähnte auch den doppelten Dreifachmord post mortem mit keinem einzigen Wort.
Ich konnte nicht mit Sicherheit wissen, ob Pläne zu meiner Ermordung existierten, aber ich wollte mich auch nicht darauf verlassen, daß eventuelle Zweifel zugunsten des Angeklagten ausgelegt wurden.
Ich überquerte die vielbefahrene Küstenstraße und setzte mich in eine am Strand gelegene Pizzeria. Ich bestellte Tomatensalat, Pizza und Bier.
Ich war auf der Hut. Ich glaubte nicht mehr, daß ich von Bologna her verfolgt worden war, aber es war nicht unvorstellbar, daß ein britischer oder skandinavischer Verleger seine Reise auf die Buchmesse mit einem kleinen Osterurlaub in Süditalien verbunden hatte. Die Bologna-Messe lag immer unmittelbar vor oder nach Ostern.
Während ich auf das Essen wartete, las ich die Zeitung, aber mir fiel auch eine anziehende Frau in einem gelben Sommerkleid und weißen Sandalen auf. Sie saß allein an einem Tisch in der Nähe, ich hielt sie für vielleicht dreißig. Sie versuchte vergeblich, sich mit einem rosa Feuerzeug eine Zigarette anzuzünden. Plötzlich sprang sie auf, legte die wenigen Schritte zu mir zurück und fragte, ob ich Streichhölzer hätte. Sie sprach italienisch, war aber eindeutig keine
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