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Der Geschichtenverkäufer

Der Geschichtenverkäufer

Titel: Der Geschichtenverkäufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jostein Gaarder
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schlief, sondern auch bei Tag. Wenn Jiris Mutter dem Jungen etwas verbot, dachte er deshalb, der kleine Mann habe ihn dazu aufgefordert. Immer häufiger kam es vor, daß Jiri erwachsene Ausdrücke und Wörter benutzte; seine Mutter konnte gar nicht begreifen, wo er die aufgeschnappt hatte. Er tischte ihr außerdem die seltsamsten Geschichten auf, kurze Schwanke oder lange Erzählungen, die der kleine Mann ihm im Schlaf erzählt hatte.
    Die Träume von dem kleinen Mann waren immer witzig und lebhaft zugleich. Jiri erwachte deshalb oft mit einem Lächeln auf den Lippen und protestierte auch nie, wenn seine Mutter ihn abends ins Bett schickte. Probleme gab es erst eines Morgens, als der kleine Mann nicht mehr mit den Träumen verschwand. Als Jiri an einem sonnigen Sommertag die Augen aufschlug, sah er den Mann mit dem grünen Filzhut klar und deutlich neben seinem Bett im Zimmer stehen. Schon im nächsten Moment schlüpfte er durch die offene Dielentür und dann weiter ins Wohnzimmer. Jiri sprang aus dem Bett und jagte hinterdrein. Im Wohnzimmer wanderte der kleine Mann wirklich zwischen den Möbeln hin und her und schwenkte seinen Stock. Er war quicklebendig und scheinbar voller Energie.
    Als Jiris Mutter kurz darauf aus dem Schlafzimmer kam, zeigte der Junge eifrig auf den kleinen Mann, der gerade in einer Wohnzimmerecke stand und sich mit dem Spazierstock an den Büchern im Regal zu schaffen machte. Die Mutter aber mußte offen und ehrlich zugeben, daß sie ihn nicht sehen konnte. Darüber staunte Jiri, denn der kleine Mann mit dem Stock war für ihn keineswegs nur ein Schemen. Er war ebenso klar zu sehen wie die große Vase auf dem Boden und das alte Klavier, das die Mutter vor kurzer Zeit grün angestrichen hatte, nachdem die alte weiße Farbe gelb geworden war.
    Etwas am Verhalten des kleinen Mannes war anders als sein Auftreten in Jiris Träumen. Noch immer konnte er sich zu dem Jungen hinwenden und einige wenige Worte zu ihm sagen, doch das kam nur noch selten vor. Im Verhältnis zwischen den beiden war es zu einer großen Veränderung gekommen. Solange der kleine Mann sich in Jiris Träumen aufgehalten hatte, hatte er fast nur mit Worten gespielt; jetzt schien er Sprache und Wörter fast aufgegeben zu haben und sich nur noch auf den kleinen Jiri zu konzentrieren. Im Traum hatte er gern Pflaumen und Kirschen gepflückt und voller Behagen selbst verzehrt. Und er hatte Jiri zu einem geheimen Saftlager im Keller geführt, eine Flasche nach der anderen geöffnet und geleert, bevor er den Jungen fragte, ob er auch seinen Durst löschen wolle. In der wirklichen Welt dagegen berührte er niemals irgendeinen Gegenstand - abgesehen von seinem Hut und seinem Stock, den er fast ununterbrochen schwenkte. Er aß oder trank auch nichts. In der Welt der Wirklichkeit blieb er ein Schatten seiner selbst, wenn man bedachte, wie lebhaft und munter er sich in Jiris Phantasie aufgeführt hatte. Vielleicht war das der Preis, den der geträumte kleine Mann für den Übertritt vom Traum in die Wirklichkeit bezahlt hatte; tatsächlich war das ein gewaltiger Sprung.
    Jiri wurde größer, und der kleine Mann wuselte weiter um ihn herum, ohne auch nur einen Millimeter zu wachsen. Mit sieben Jahren war Jiri schon einen guten Kopf größer als der kleine Mann, und von nun an nannte er ihn Meter, weil er nur einen Meter groß war.
    Von dem Tag an, an dem Meter seinen Kopf in die Wirklichkeit gesteckt und sich zum ersten Mal in Jiris Zimmer gezeigt hatte, träumte Jiri nie wieder von ihm. Er war deshalb sicher, daß Meter die Welt der Träume entweder freiwillig verlassen hatte oder aus dem Märchenland, aus dem er stammte, verwiesen worden war und den Weg zurück nichtfand. Jiri hielt es für seine Schuld, daß der Traummann sich verirrt hatte, und gab die Hoffnung nicht auf, daß Meter eines Tages in seine eigene Welt zurückfinden werde. Dort war er schließlich zu Hause, und alle sollten sich davor hüten, sich zu weit von der Wirklichkeit zu entfernen, in der sie zu Hause sind. Als Jiri älter wurde, machte es ihn nervös, immer den kleinen Mann in der Nähe zu haben.
    Meter folgte Jiri wie ein Schatten durchs Leben. Es hatte den Anschein, als trotte er hinter Jiri her, doch der kleine Mann beteuerte, es verhalte sich genau umgekehrt: er schiebe Jiri vor sich her und bestimme damit über dessen Leben. Ganz falsch dürfte das nicht gewesen sein, denn Jiri konnte nie selbst entscheiden, wann oder wo er Meter begegnen würde. Immer entschied

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