Der Geschichtenverkäufer
unbeschreiblich kurz. Vielleicht wollte ich deshalb meinen Namen nicht auf einen Bucheinband setzen. Der dünne Firnis aus Kultur, aus Ehrgeiz und Torheit verlor angesichts des gewaltigen Abenteuers, in dem ich einen flüchtigen Zwischenstopp einlegte, ganz einfach an Bedeutung. Ich hatte gelernt, über Unwesentliches hinwegzublicken. Schon als Kind hatte ich eine andere Zeitrechnung gekannt als die der Illustrierten und des Bücherherbstes. Als Kind hatte ich einen viele Jahrmillionen alten Bernsteinklumpen gesehen, und in den Klumpen war eine ebenso alte Spinne eingeschlossen. Ich war auf der Erde gewesen, ehe vor vier Milliarden Jahren das Leben entstanden war, ich wußte, daß die Sonne bald zur roten Riesin werden würde, und lange vorher würde die Erde ein ausgedörrter, lebloser Planet sein. Wer sich dessen einmal bewußt ist, meldet sich nicht zu einem Kurs in Bauernmalerei an. Er hat dazu nicht mehr die nötige Gemütsruhe. Er meldet sich auch zu keinem Schreibkurs an und lungert nicht in Kneipen herum und behauptet, »an etwas zu schreiben«. Vielleicht schreibt er, daran ist nichts auszusetzen, aber er »schreibt« nicht. Man schreibt, weil man etwas auf dem Herzen hat, weil man einem anderen Menschen ein tröstendes Wort sagen mochte; aber man setzt sich nicht in einem Spiralarm der Milchstraße an einen Schreibtisch und »schreibt«, nur um zu »s-c-h-r-e-i-b-e-n«. Oder zu »s« »c« »h« »r« »e« »i« »b« »e« »n«. Das ist meine Überzeugung. Doch die Poeten posieren auf dem Laufsteg. Hereinspaziert, meine Damen und Herren! Willkommen zur neuen Frühjahrskollektion! Gerade diese Kreation müßte Sie besonders interessieren; ein erlesener Armani-Roman, souverän in seinem Genre. Und hier der poetische Modelöwe - mit Poetenschal natürlich ... Signieren Sie mit Ort und Datum, bitte!
Ich war müde. Doch jetzt war das Autorenhilfswerk eingestellt, eine literarische Ära war zu Ende. Nie wieder würde ich die großen Buchmessen besuchen. Ich war entschlossen, mein Leben zu retten.
In Neapel verließ ich das Flugzeug als erster. Ich rannte durch die Ankunftshalle, sprang in ein Taxi und bat den Fahrer, mich nach Amalfi zu bringen. Eine so lange Tour hatte er sicher nicht oft.
Ich war noch nie in Amalfi gewesen, aber schon viele hatten mir geraten, mir einmal ein paar Tage in dieser bezaubernden Stadt auf der Halbinsel Sorrent zu gönnen. Auch Maria hatte Amalfi erwähnt, sie war einmal mit einer Freundin dort gewesen. Und Robert hatte immer von seinen Reisen nach Süditalien geschwärmt, in der Zeit, als Wenche ihn noch nicht verlassen hatte.
Wir fuhren an Pompei vorbei, und ich versuchte mir die Menschen in dieser Stadt in den letzten Sekunden vor dem Vulkanausbruch vorzustellen. Doch als ich ein scharfes Bild entwickelt hatte, versuchte ich es schnell wieder zu verwischen. Was ich sah, ließ sich in ein Wort fassen: vanitas. Dann ein Knall und der Vesuv goß seinen kochenden Zorn über das Narrentreiben.
Als die Berge hinter uns lagen und wir uns auf der Straße durch die Zitronenhaine der Küste näherten, bat ich den Fahrer, mich beim Hotel Luna Convento abzusetzen; von diesem Hotel hatte ich schon gehört. Ich hatte keine Ahnung, ob es dort freie Zimmer gab, aber es war noch eine ganze Woche bis Ostern.
Es gab freie Zimmer genug. Ich bat um Nummer 15, auch dieses Zimmer war unbesetzt. Ich mietete mich für eine Woche ein, wenig später saß ich vorm Fenster und schaute aufs Meer hinaus. Das Zimmer hatte zwei große Fenster, vor dem zweiten reckte sich bereits Meter und hielt ebenfalls Ausschau auf das Meer. Die Sonne stand noch immer tief am Himmel, es war erst Viertel nach neun.
Ich beugte mich über den alten Schreibtisch. An diesem Tisch hatte einst Henrik Ibsen gearbeitet, das wußte ich, ich hatte gehört, daß Ibsen das Zimmer Nummer 15 in der alten Herberge bewohnt hatte, die auf ein Franziskanerkloster aus dem 14. Jahrhundert zurückging. Hier hatte er die Arbeiten an Nora oder ein Puppenheim abgeschlossen, jetzt hing sein Bild an der Wand.
Mir ging auf, daß auch ich in einer Art Puppenheim aufgewachsen war. Wieder mußte ich an etwas denken, das ich immer zu vergessen versucht hatte, und es war nicht das Märchen an Mutters Wand. Es war ein Alptraum, der mich noch tiefer getroffen hatte. Ich fühlte mich von der düsteren und kalten Tiefe unter dem dünnen Eis, auf dem ich tanzte, bedroht.
In diesem Zimmer hatte Ibsen Nora den wilden Spinnentanz beigebracht, überlegte
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