Der Geschmack der Liebe
direkt vor das Haupttor gebraust und hat sich aus einem knallroten BMW Cabrio geschält. Das war echt ein filmreifer Auftritt! Überhaupt! Seit wann lädt man denn die Konkurrenz zur Beerdigung ein?“
„Das ist nun mal hanseatischer Stil“, Hubertus Braun drehte sich zu ihnen um. „Außerdem gibt es eine lange Bindung zwischen den beiden Familien, geschäftlicher Streit hin oder her.“
Gisela Mühlbauer, die sich zu den dreien gesellt hatte, nickte und fügte hinzu: „Kein Wunder, immerhin konnte sich Christine Hansen lange Zeit nicht zwischen dem Chef und Claus von Heidenthal entscheiden!“
Luisa stutzte. Von dieser Geschichte hatte sie noch nie etwas gehört. Nun ja, kein Wunder, immerhin hielt sie sich meist aus dem firmeninternen Flurfunk heraus. Es gab einfach Gerüchte, die wollte sie gar nicht hören. Aber nun konnte sie nicht anders. Irritiert verglich sie die beiden so unterschiedlichen Frauen. Christine, blond und zart, war völlig in sich gekehrt. Valerie stand hoch aufgerichtet neben ihrem Mann, ohne ihn zu berühren, und schien in Richtung Rosengarten zu blicken, als wollte sie den Worten des Pfarrers entfliehen.
„Asche zu Asche, Staub zu Staub“, vollendete der gerade seine Rede und reichte Christine Hansen die kleine Schaufel, damit sie frische Erde auf das Grab ihres Mannes werfen konnte. Weil Christine sich nicht rührte, nahm Eleonore Hansen die Schaufel entgegen.
Valerie von Heidenthal beobachtete die Patriarchin genau. Sie bewunderte die alte Dame. Die hatte wirklich Haltung. Ganz im Gegensatz zu ihrer Schwiegertochter. Valerie schüttelte unmerklich den Kopf. Was Maximilian jemals an Christine anziehend gefunden hatte … wo er doch sie hätte haben können! Das verstand sie bis heute nicht. Sogar gefragt hatte sie ihn damals!
„Sie braucht mich“, hatte Maximilian mit einem versonnenen Lächeln entgegnet. Und bevor Valerie irgendetwas sagen konnte, hatte er hinzugefügt: „Und nicht nur, aber auch deswegen macht sie mich glücklich.“
Dieser sentimentale Dummkopf. Und jetzt lag er dort in der feuchten, kalten Erde. Hätte er sich mal damals anders entschieden, dann wäre ihm das erspart geblieben! Aber bitte – jeder nach seiner Fasson! Valerie warf einen Blick auf ihren Ehemann. Der sah ebenfalls zu Christine, und in seinen Augen war nicht nur Mitleid zu lesen. Der gute alte Claus! Es war damals keine Überraschung für sie gewesen, dass er sie nur geheiratet hatte, weil Christine Maximilian und nicht ihn haben wollte. Aber das war Valerie egal gewesen. Konnte sie schon nicht Maximilian für sich gewinnen, würde sie zumindest trotzdem einen reichen Mann heiraten – so hatte sie damals gedacht, und so dachte sie auch noch heute.
„… doch zuvor möchte ich gerne Herrn Hubertus Braun ans Mikrofon bitten“, sagte Eleonore in diesem Moment und lächelte dem Röstmeister freundlich zu. „Er wird noch ein paar Worte im Namen der Belegschaft sprechen.“
Zögernd übernahm der Röstmeister das Mikrofon.
„Liebe Trauergäste“, begann er und räusperte sich. „Das Wichtigste wurde bereits gesagt. Herr Hansen wird uns allen … fehlen. Deswegen möchte ich meinen … Beitrag auch kurz halten.“
Katharina von Heidenthal verdrehte die Augen und hakte sich bei ihrer Mutter unter. „Das will ich aber auch hoffen“, murmelte sie genervt, und Valerie stimmte ihr mit einem amüsierten Grinsen zu.
„Wir – also die Belegschaft“, fuhr Herr Braun stockend fort, „möchten Herrn Hansen ein paar Zeilen mit auf den Weg geben.“ Der Röstmeister schluckte schwer und holte tief Luft. „Ein Gedicht, das er selbst einmal als sein liebstes bezeichnet hat.“
Plötzlich versagte ihm die Stimme. In seinen schweißnassen Händen zerlief die Tinte auf dem Blatt, während er mit den Tränen kämpfte. Da fühlte er eine Hand auf seiner Schulter. Als er zur Seite blickte, sah er, dass es Luisa war, die ihm zu Hilfe kam.
„Wir alle“, hörte Luisa sich sagen und bemühte sich um eine feste Stimme, „werden Herrn Hansen sehr vermissen.“ Nervös blickte sie um sich und schüttelte innerlich den Kopf über ihre eigene Courage. Aber Herrn Braun einfach dort stehen zu lassen, hätte sie nicht übers Herz gebracht. Also musste sie jetzt in den sauren Apfel beißen und sich den erwartungsvollen Blicken der Trauergäste stellen. Luisa riss sich zusammen.
„Wir werden ihn vermissen, weil er nie nur unser Chef war“, fuhr sie mutig fort und spürte, wie sie rot wurde.
„Sondern vor
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