Der Geschmack der Liebe
allem, weil er immer für uns da war.“ Sie sah, wie einige ihrer Kollegen nickten.
„Und: Er legte Wert auf unsere Meinung“, sagte sie lächelnd. „Wie zum Beispiel bei der koffeinfreien Mischung von Café Luna. Bis das Rezept abgenommen war, hatte jeder Einzelne von uns mindestens vier Liter davon getrunken. Und er vertraute auf unseren Geschmack genauso wie auf seinen eigenen. Diese Art zu arbeiten – diese Art, ernst genommen zu werden – hat mir vor allem eines gezeigt: dass wir für Herrn Hansen zählten. Er war der Mann des Unternehmens, aber er war auch unser Mann. Also ich meine … unser Chef!“
Luisa brach ab, weil es ihr peinlich war, wie sie sich selbst hatte davontragen lassen. Es war mal wieder über sie gekommen. Mit einem entschuldigenden Blick auf die Familie zog sie sich in den Hintergrund zurück und schimpfte sich stillschweigend eine Idiotin. Wenn Molly hier gewesen wäre, hätte die sie bestimmt rechtzeitig vom Mikrofon gezerrt. Denn ihre beste Freundin wusste, wie es um Luisa bestellt war. Immer, wenn ihr etwas extrem wichtig war, gingen die Pferde mit ihr durch. Dann konnte sie einfach nicht mehr aufhören, weil sie so gerne wollte, dass auch wirklich alle verstanden, was sie meinte. Unsicher wagte sie einen Blick in die Runde. Vielen ihrer Kollegen standen Tränen in den Augen. Christine Hansen hatte aufgehört zu weinen und schien sogar ein wenig zu lächeln. Eleonore Hansen sah berührt in Luisas Richtung. Und das wütende Gesicht des Juniors sprach für sich!
Tatsächlich konnte Daniel Hansen seine Wut kaum zügeln. Am liebsten hätte er dieser kleinen, dreisten Rösterin den Mund verboten. Doch seiner Großmutter schien der Auftritt dieser Schnepfe auch noch zu gefallen.
Tatsächlich ergaben die Worte Luisas die schönste Grabrede, die Eleonore jemals gehört hatte. Und in ihrem Alter war man schon auf einigen Beerdigungen gewesen. Sie hatte genau gesehen, wie Luisa Vogt sich nach ihrer Ansprache schüchtern in die letzte Reihe verdrückt hatte. Die Patriarchin bewunderte die Kleine für ihren Mut. Das war nicht das erste Mal, dass sie ihr aufgefallen war. Maximilian hatte immer schon große Stücke auf die junge Frau gehalten. Auf ihren Geschmack und auf sie als Person. Ihr Sohn war es auch damals vor drei Jahren gewesen, der sie zu einem Vorstellungsgespräch als Auszubildende eingeladen und schließlich eingestellt hatte. Und es war die richtige Entscheidung gewesen. Noch heute erinnerte sich Eleonore lächelnd daran, wie Luisa ihnen am Ende des Bewerbungsgesprächs zeigen wollte, dass sie verschiedene Kaffeesorten nur an deren Duft erkennen konnte.
„Aber, Fräulein Vogt“, hatte Maximilian damals geantwortet, „wir sind hier nicht bei ‘Wetten, dass …?’, vertrauen Sie einfach darauf, dass wir erkennen, wenn jemand zu uns passt.“
Jäh wurde Eleonore aus ihren Gedanken gerissen, als Daniel neben ihr zu reden begann.
„Das glaub ich jetzt nicht!“ Er schüttelte den Kopf. „Ich kündige ihr, und sie macht hier einen auf ‘Wir haben uns sooooo gut verstanden!’„
„Wie bitte?“ Eleonore sah ihren Enkel irritiert an.
„Keine Sorge, Großmutter, sie wird ab morgen nicht mehr dazwischenquatschen“, nickte er seiner Großmutter beruhigend zu. „Das Mädel weiß einfach nicht, wo sein Platz ist! Kein Wunder, dass sie sich heute hier aufspielt. Ich meine, bei der Beerdigung meines Vaters! Das ist ja wohl mehr als … dreist und frech! Das ist ja wohl …“
„Einen Moment bitte, Daniel“, unterbrach die Patriarchin ihn, „habe ich eben richtig verstanden, dass du Luisa Vogt gekündigt hast?“
„Hochkant rausgeschmissen habe ich sie“, bestätigte Hansen junior im Brustton der Überzeugung, das Richtige getan zu haben.
„Aber, mein Junge“, mischte sich auf einmal Christine ein, bevor Eleonore auch nur ein Wort sagen konnte, „warum denn?“
„Weil das Mädchen eben keine Grenzen kennt. Das war ja wohl eben deutlich zu merken. Man stelle sich mal vor, wie sich jemand so verhalten kann, so …“, erklärte Daniel überheblich.
Aufgebracht fiel Eleonore ihrem Enkel ins Wort: „Rührend? Dass du dieser mutigen jungen Dame gekündigt hast, ist unverzeihlich! Hast du ihr eigentlich zugehört? Hast du bemerkt, wie ehrlich ihre Worte waren und voller Hochachtung vor deinem Vater? Ich erwarte von dir, dass du die Kündigung rückgängig machst, und zwar sofort!“
Daniel starrte seine Großmutter ungläubig an. Er konnte es nicht fassen, dass sie
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