Der Geschmack der Liebe
morgen nicht hin!“
Mollys Stimme klang milde. „Wenn du glaubst, das ist besser, dann geh nicht hin. Aber wenn du gern eine Begleitung hättest, dann nehme ich mir morgen frei und komme mit.“
Luisa zuckte mit den Schultern.
„Dann ziehe ich meine hochhackigen Schuhe an und trete diesem Idioten Daniel Hansen auf die Zehen“, lockte Molly. Luisa rang sich ein Lächeln ab. Am liebsten würde sie einfach hier in der Kaffeeküche von „Upper Cut“ sitzen bleiben, bis alles irgendwie wieder in Ordnung war. Allerdings auch nur dann, wenn Mollys Chefin sich doch noch entscheiden würde, Kaffee anzubieten …
„Ich hab keine Ahnung, was ich machen soll“, sagte sie leise und lehnte sich an Molly. „Ich bin einfach nur traurig, und vom Traurigsein werde ich müde und dann ganz selbstmitleidig und wieder traurig und dann … ach, ich bleibe einfach hier!“
„Okay, noch einen Lindenblütentee?“
4. KAPITEL
Mit zusammengebissenen Zähnen lief Luisa am nächsten Morgen hinter Hubertus Braun und Nicole her, die sie zum Glück am Eingang des Ohlsdorfer Friedhofs getroffen hatte. Sie war froh, nicht alleine zu der großen Trauergesellschaft stoßen zu müssen, die nicht nur aus Familie und Belegschaft bestand, sondern aus vielen anderen Menschen, die Maximilian Hansen die letzte Ehre erweisen wollten. Luisa versteckte sich hinter ihren Kollegen, als sie die Familie, allen voran Daniel Hansen, entdeckte. Mit undurchdringlicher Miene stand er neben seiner Mutter, die von ihm gestützt werden musste. Jemand brachte einen Stuhl, auf den sich die Witwe zitternd niederließ. Ihre Schwiegermutter beugte sich zu ihr und flüsterte ihr etwas zu, während Daniel seiner Mutter eine Hand auf die Schulter legte. Luisa sah zur Seite. Sie wollte und konnte ihn momentan einfach nicht anblicken. Nicht mit all der Wut, die sie im Bauch hatte. Und Wut war nun wirklich das letzte Gefühl, mit dem sie sich von ihrem Chef verabschieden wollte. Um sich zu beruhigen, schaute Luisa sich ein wenig in der wunderschönen Parkanlage um. Die Rhododendren rund um eine schmiedeeiserne Brücke standen in voller Pracht, ein paar Vögel sangen.
„Luisa!“, riss Nicole sie aus ihren Gedanken. „Sag doch auch mal was. Wer, wenn nicht Herr Braun, sollte das Gedicht vortragen, auf das wir uns geeinigt haben?“
Luisa blinzelte. Richtig. Die Belegschaft hatte kurz nach der Versammlung beschlossen, mehr zu dieser Beerdigung beizutragen als einen gemeinsamen Kranz. Schnell war die Wahl auf ein Gedicht gefallen, das der Hansen-Chef selbst einmal bei einer Betriebsfeier als sein Lieblingsgedicht bezeichnet und vorgetragen hatte. Hubertus Braun hielt einen Zettel mit den wenigen Zeilen in seiner zitternden Hand und sah Luisa verzweifelt an.
„Ich weiß nicht, ob ich das kann“, stotterte der sonst so besonnene Mann. Luisa lächelte ihn aufmunternd an.
„Sie schaffen das schon, davon bin ich überzeugt“, beruhigte sie ihn und fügte voller Überzeugung hinzu: „Herr Hansen hätte sich sicher gefreut.“
Der Röstmeister nickte, wandte sich ab und überflog den Text.
„Trotzdem bin ich nervös“, murmelte er, „ich rede nicht gerne vor so vielen Menschen.“
„Wir stehen doch alle hinter Ihnen!“, redete Nicole ihm zu, was Luisa bei ihrer Kollegin noch nie erlebt hatte. Sie klopfte ihrem Vorgesetzten etwas ungelenk, aber aufmunternd auf die Schulter. Wäre Luisa nicht so traurig gewesen, hätte sie diese Geste fast erheiternd gefunden.
Während der Pfarrer sprach, blickte sie sich um. Viele der Anwesenden erkannte sie von der 150-Jahr-Feier. Nicht weit von der Familie stand Claus von Heidenthal mit seiner Frau und seiner Tochter. Von Heidenthal junior fehlte. Aber soviel Luisa wusste, war der auch gerade irgendwo in Afrika unterwegs. Claus von Heidenthal war blass und schien in Gedanken versunken. Valerie von Heidenthal dagegen versteckte ihr Gesicht hinter einer riesigen Sonnenbrille, und Katharina …
„Guck mal, wie die aussieht!“, flüsterte Nicole Luisa in diesem Moment auch schon zu und schüttelte missbilligend den Kopf. „Für die ist ja wohl jede größere Veranstaltung eine Art Party!“
Nicole hatte nicht ganz unrecht, fand Luisa. Immerhin war Katharinas schwarzer Rock um mindestens eine Handbreit kürzer als alles, was man sonst hier sah. Nicht, dass sie es nicht hätte tragen können, aber trotzdem.
„Rate mal, wie die hier ankam!“, wisperte Nicole weiter und wartete erst gar nicht auf eine Antwort. „Die ist
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