Der Geschmack der Liebe
in diesem Ton mit ihm sprach. So hatte er sich das alles nicht vorgestellt. Immerhin war er Geschäftsführer, wenn auch erst mal nur auf Zeit. Und ausgerechnet auf der Beerdigung seines Vaters putzte seine Großmutter ihn runter? Wegen einer der Rösterinnen? Das konnte ja wohl nicht wahr sein!
Ohne ein Wort zu sagen, drehte Daniel sich um und floh in den Park hinein. Von dort beobachtete er, wie Eleonore dieser aufsässigen Kuh tatsächlich die Hand schüttelte. Seine Großmutter war die Vorsitzende des Aufsichtsrates. Dagegen konnte er nichts tun. Vermutlich hatte sie dieser Luisa jetzt sogar gesagt, dass ihre Kündigung wirkungslos sei. Daniel schloss für einen Moment die Augen. Irgendetwas lief hier verkehrt! Er sollte das Sagen haben. Heute hätte er mit Maximilian über Veränderungen in der Firmenstruktur reden wollen. Die waren wirklich überfällig. Nun ja, dann würde er sich eben alleine dieser Aufgabe stellen. Er würde Hansen Kaffee zurück an die Spitze des Marktes bringen. Daniel beobachtete die Trauergesellschaft. Etliche der Gäste bewegten sich in Richtung der Parkplätze, seine Mutter lief Seite an Seite mit seiner Großmutter vorweg. Luisa Vogt war Gott sei Dank nirgendwo zu sehen. Die würde es ja wohl nicht wagen, auch noch zum Leichenschmaus zu erscheinen. Claus und Valerie von Heidenthal verließen gerade den Friedhof. Mit ein wenig Abstand folgte Katharina von Heidenthal, die heute mal wieder ausgesprochen attraktiv aussah. Daniel gab sich einen Ruck, entschloss sich, den Streit mit seinem Vater vor dessen Tod ebenso zu vergessen wie den Ärger mit Luisa Vogt, und folgte dem lebendigen Hüftschwung Katharina von Heidenthals auf ihrem Weg zum Ausgang.
Luisa versteckte sich schnell hinter einem Gebüsch, als Daniel Hansen an ihr vorbeieilte. Dem jetzt zu begegnen hätte ihr sicher den Rest gegeben. Die Trauerfeier war wirklich schlimm genug gewesen. Ja, sie hatte sich gefreut, als Eleonore Hansen ihr die Hand geschüttelt und sich für Luisas Rede persönlich bedankt hatte. Ganz abgesehen davon, dass sie die Kündigung rückgängig gemacht hatte.
„Mein Enkel hatte wohl etwas missverstanden, er bedauert den Vorfall, wird Ihnen das auch selbst noch sagen, und wir freuen uns, Sie morgen wieder wie immer bei uns zu sehen“, hatte die Patriarchin freundlich erklärt und sie eingeladen, an der Kaffeetafel, die zu Ehren von Herrn Hansen in einem Restaurant an der Elbe stattfinden sollte, teilzunehmen. Aber für Luisa war es ganz klar, dass sie die Einladung nicht annehmen würde. Nicht ohne ihre Kollegen. Dort, inmitten der Familie und deren Freunden, herumzustehen, wäre einfach zu viel gewesen. Deswegen hatte sie auch einen Termin vorgeschoben und streifte nun über den Friedhof. Wie von selbst liefen ihre Füße den kleinen geschwungenen Weg den Hügel hinauf zu den großen Bäumen, wo ihr Vater lag. Luisa näherte sich vorsichtig. „Robert Vogt“ war in den naturbelassenen Stein gemeißelt, seine Geburts- und Sterbedaten und zwei Zeilen aus seinem Lieblingslied. Sie setzte sich ins Gras vor das Grab und nahm die kleine Blütenbrosche ab, die sie vor Jahren von Anna geschenkt bekommen hatte.
„Hallo, Papa“, begann sie und wusste nicht weiter. Tut mir leid, dass ich erst jetzt komme, hatte sie sagen wollen, aber irgendwie klang das wie eine Ausrede. Also legte sie die Brosche auf die Erde und blieb einfach dort sitzen. Versuchte sich zu erinnern, wie es war, als ihr Vater noch lebte. Irgendwie war alles einfacher gewesen, weil er immer eine Lösung parat hatte, für sämtliche Probleme. Schwierigkeiten in der Schule? Robert war der perfekte Nachhilfelehrer! Oder aber er kannte jemanden, der helfen konnte. Liebeskummer? Robert hatte sich nie eingemischt, aber doch immer genau gemerkt, wenn seine kleine Prinzessin unglücklich war. Selbst als …
„Frau Luisa Vogt?“
Luisa blinzelte und schaute auf. Vor dem Grab ihres Vaters stand ein distinguiert wirkender älterer Herr in einem schwarzen Anzug.
„Ja?“
„Entschuldigen Sie die Störung, aber vorhin habe ich Sie aus irgendeinem Grund verpasst.“
Er streckte ihr eine Hand entgegen, in der sich ein Briefumschlag befand, den Luisa völlig verblüfft entgegennahm.
„Was ist das?“
„Eine Einladung. Ich bin Doktor Christian Struppek. Von Struppek und Sohn. Die Rechtsanwaltskanzlei!“
Luisa blickte noch immer fragend.
„Wir sind die Notare und Rechtsanwälte von Maximilian Hansen. Und das hier ist … nun, eine wichtige
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