Der Geschmack der Liebe
nach seinem Tode bekommen. Vielleicht erklären seine eigenen Worte diese Situation besser … als ich es kann.“ Da Christine keine Anstalten machte, den Umschlag entgegenzunehmen, legte er ihn vor sie auf den Tisch. Wieder herrschte beredtes Schweigen. Luisa machte sich so klein wie möglich, am liebsten hätte sie sich in Luft aufgelöst. Da unterbrach Daniel die Stille, als er lauthals anfing zu lachen.
„Das ist ja wohl der beste Scherz des Jahrhunderts!“, rief er. „Mein alter, ehrwürdiger, von allen geachteter Herr Vater, vor dem ganz Hamburg, ach was rede ich, vor dem ganz Norddeutschland den Hut zog, hat einen dunklen Fleck auf seiner Weste! Und was für einen!“ Abschätzig musterte er Luisa von oben bis unten. „Er hat uns nicht nur ein Kuckucksei ins Nest gesetzt, sondern hatte auch noch den Mut, das Küken in unserer Firma anzustellen. Ich bin wirklich froh, dass ich sie entlassen habe! Großmutter, du solltest mir wirklich dankbar sein.“
Mit aller Kraft versuchte Luisa, die Tränen zurückzuhalten. Jetzt nicht auch noch vor diesem blöden Schnösel heulen! Aber leichter gesagt als getan. Luisas Augen brannten, und schon spürte sie eine Träne ihre Wange hinabkullern. Nein, das konnte alles nicht wahr sein! Was sollte sie jetzt bloß tun?
„Ich glaube, Herr Hansen“, versuchte Doktor Struppek die Situation wieder in den Griff zu bekommen, „Sie missverstehen da einiges. Ihre Halbschwester Luisa hat durch das Testament Anteile an der Rösterei geerbt. Somit ist eine Kündigung sowieso unwirksam. Frau Vogt verfügt nun über ein Viertel der Firmenanteile von Maximilian Hansen. Und damit steht ihr ein fester Sitz im Aufsichtsrat der Firma zu. Sie ist Ihnen in allen Belangen, die die Firma betreffen, gleichgestellt.“
Luisa schluckte. In ihrem Kopf wirbelten sämtliche der eben genannten Informationen durcheinander.
Daniel erstarrte. „Was soll das heißen?“
„Dass Ihre Halbschwester dieselben Rechte hat wie Sie. Unter anderem stehen ihr die gleichen Finanzausschüttungen zu wie Ihnen“, erklärte Doktor Struppek geduldig. „Ihr Vater hat Frau Vogt im Testament so bedacht wie eine eheliche Tochter.“ Mit diesen Worten wandte sich der Notar an Eleonore Hansen und ihre Schwiegertochter. „Wollen Sie das Testament einsehen?“
„Wir glauben Ihnen das auch so.“ Eleonore hatte ihre Fassung wiedergewonnen und blickte nun Luisa fest in die Augen.
„Sie verstehen sicher, Frau Vogt, dass wir diese Neuigkeiten erst einmal verarbeiten müssen. Was Ihre Situation in der Rösterei betrifft, würde ich vorschlagen, wir setzen uns in den kommenden Tagen einmal in aller Ruhe zusammen. Bis dahin können Sie selbst entscheiden, ob Sie weiterarbeiten wollen wie bisher. Nur, bitte geben Sie mir und meiner Familie noch ein wenig Zeit.“
Luisa nickte wortlos. Das bedeutete wohl, dass sie nicht länger in den hehren Hallen erwünscht war, wenn auch den Umständen entsprechend nett formuliert. Stumm stand sie auf und dankte dem Notar, indem sie kurz die Hand hob.
„Ich schicke Ihnen die Unterlagen zu und benötige später auch noch einige Unterschriften. Aber das hat auch noch ein paar Tage Zeit“, verabschiedete Doktor Struppek sie freundlich. Auf dem Weg zur Tür sah Luisa aus dem Augenwinkel, dass Christine Hansen noch immer weinte. Luisa konnte sie verstehen. Erst der plötzliche Tod von ihrem Mann, und dann die Tatsache, dass er sie betrogen hatte. Mit Luisas Mutter. Plötzlich wurde Luisa bewusst, was all das hieß! Daniel stand so heftig auf, dass sein Stuhl zu Boden krachte. Nur für sie verständlich zischte er ihr noch seinen eigenen Abschiedsgruß zu. „Glaub ja nicht, dass du damit durchkommst! Dieses Testament ist noch lange nicht gültig. Nicht, was mich betrifft!“ Luisa drehte sich um, versuchte so zu tun, als hätte sie ihn nicht gehört. Sie konzentrierte sich darauf, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Bloß weg hier. Wie die sie alle angeguckt hatten. Als hätte sie das Ganze inszeniert!
Luisas eiliger Aufbruch ersparte ihr zumindest die Hasstirade, die Daniel vom Stapel ließ, kaum dass sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte. Dieses Testament galt es anzufechten, egal was es kostete! Auch dass Eleonore unterstützt von Doktor Struppek ihrem Enkel erklärte, sie gedenke, sich an den Letzten Willen ihres Sohnes zu halten, und es käme überhaupt nicht für sie infrage, das Testament infrage zu stellen, bekam Luisa nicht mehr mit.
Sie saß im Bus zum Flughafen und
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