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Der Geschmack von Apfelkernen

Der Geschmack von Apfelkernen

Titel: Der Geschmack von Apfelkernen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hagena
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dieser Kanzlei?
    Miras Bruder lachte auf.
    - Iris Berger. Bei euch war ich immer nur die Niete, und
     es scheint, als würde es so bleiben.
    - Scheint so.
    Ich beugte mich vor und griff nach meinem Korb. Auch wenn
     Miras Bruder ein nettes Lachen hatte, war ich immer noch verdammt wütend. Außerdem
     hatte ich Hunger, wollte allein sein und nicht reden. Und er wollte ganz sicher über
     das Testament sprechen, was ich mit dem Haus machen wollte, dass ich es versichern
     sollte, was bei Annahme des Testaments alles auf mich zukommen würde. Doch nun
     wollte ich nicht mehr darüber reden, nicht einmal nachdenken.
    Als ich mich aufrichtete, den Korb in der Hand und
     innerlich gesammelt für meine anstehende große Rede der Verachtung, sah ich zu
     meiner Verblüffung, wie Miras Bruder schon fast den halben Deich hochgestapft war.
     Heftig trat er gegen den Hang. Ich lächelte.
    Sein weißes T-Shirt hatte an der rechten Schulter rote
     Sandflecken.

    Nach dem Picknick räumte ich den Korb wieder ein, warf
     noch einen Blick auf den Fluss, die Schleuse, die Boote, das andere hatte sich etwas
     gedreht, den Namen konnte ich aber immer noch nicht ganz lesen, irgendwasmit »-ethe« am Ende, Margarethe vielleicht, das war ein guter
     Name für ein Boot. Ich schwang mich auf Hinnerks Fahrrad und fuhr zum Haus. Zu
     meinem Haus, wie klang das? Sonderbar und irgendwie unecht. Der Wind wehte Fetzen
     von Glockengeläut über die Weiden, aber ich konnte nicht hören, wie spät es war. Es
     fühlte sich an wie früher Nachmittag, eins oder zwei, vielleicht noch später. Die
     Sonne, das Essen, Wut und Schrecken und jetzt noch der Gegenwind machten mich müde.
     Ich bog hinter der Tankstelle nach rechts auf den Bürgersteig, schob das Rad in die
     Einfahrt, das Tor hatte ich nicht abgeschlossen, watete durch die Vergissmeinnicht
     und stellte das Rad vor die Küchentür. Mit dem großen Schlüssel ließ ich mich
     hinein. Ein Messingschmatzen, noch ein Messingschmatzen, und ich stand im kühlen
     Hausflur. Die Treppe ächzte, das Geländer jammerte, heiß und stickig war es unterm
     Dach. Ich warf mich auf das Bett meiner Mutter, warum war es frisch bezogen? Hinter
     der Lochstickerei blitzte ein lila Kissen. Die Löcher waren Blumen. Löcher im
     Kopfkissen. Bei der Lochstickerei kam es auf das an, was nicht da war. Das war die
     ganze Kunst. Wurden es zu viele Löcher, blieb nichts mehr. Löcher im Kopfkissen,
     Löcher im Kopf.

    Als ich aufwachte, klebte meine Zunge am Gaumen, ich
     taumelte durch die linke Tür in Tante Ingas Zimmer, dort gab es ein Waschbecken,
     braunes Brackwasser schoss mit bockigem Stottern in das weiße Becken. Im Spiegel
     betrachtete ich das Muster des Kissenbezugs auf meiner Wange, lauter rote Ringe. Das
     Wasser floss allmählich ruhiger, nur noch dann und wann ein kurzes Zucken im Strahl,
     er wurde langsam klarer. Ich spritzte mir Wasser ins Gesicht, zog meine
     verschwitzten Sachenaus, Kleid, BH, Unterhose, alles, und genoss
     es, nackt in Tante Ingas Zimmer zu stehen, das kalte graugrüne Linoleum unter den
     Zehen. Tante Inga hatte als Einzige keinen Teppich in ihrem Zimmer gehabt, bei
     meiner Mutter, dem Zimmer von Urgroßmutter Käthe und hinten bei Tante Harriet lag
     ein harter rostroter Sisalteppichboden, der beim Barfußlaufen unter den Füßen
     kratzte. Im großen Bodenraum lagen Bastmatten auf dem Holz. Nur das Mädchenzimmer,
     das längst Abstellraum war, hatte Dielen, die aber unter einem Anstrich fetter
     brauner Farbe erstickt waren. Die machten keinen Mucks mehr.

    Ich ging auf den großen Bodenraum, öffnete den
     Nussbaumschrank, und alle Kleider hingen noch dort, ein bisschen weniger leuchtend
     zwar, aber hier war unverkennbar der Tülltraum von Tante Harriets Abtanzball, das
     Goldene, das meine Mutter bei ihrer Verlobung getragen hatte, und jenes schwarze
     Flitterflatterdings, ein schickes Nachmittagskleid aus den dreißiger Jahren. Das
     stammte noch von Bertha. Ich wühlte weiter, bis ich auf ein knöchellanges grünes
     Seidenkleid stieß, das obenherum mit Pailletten bestickt war. Es gehörte Tante Inga.
     Ich zog es an, es roch nach Staub und Lavendel, der Saum war abgerissen, und einige
     Pailletten fehlten, aber es lag kühl auf meiner Brust und fühlte sich tausendmal
     besser an als das schwarze, in dem ich gerade geschlafen hatte. Zudem war ich noch
     nie zuvor so lange im Haus gewesen, ohne meine Kleider gegen die Kleider aus den
     alten Schränken zu

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