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Der Geschmack von Apfelkernen

Der Geschmack von Apfelkernen

Titel: Der Geschmack von Apfelkernen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hagena
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leicht geöffnetem Mund
     und geweiteten Augen bei winzigen, reflexartig zusammengezogenen Pupillen. Doch
     weder Erkennen noch Unwillen waren darin zu sehen. Bertha kannte und wollte nichts
     mehr. Die Fotos waren ganz abgegriffen. Einigewaren unscharf oder
     verwackelt, das sah Tante Inga nicht ähnlich. Das gleißende Licht hatte die tiefen
     Falten in Berthas Gesicht weggebrannt, sodass es glatt und weiß aus dem grau
     verschwommenen Hintergrund hervortrat. So weiß wie der Kunststofftisch, auf dem sie
     mit der Hand wischte, und ebenso leer. Nachdem ich Tante Inga die Fotos
     zurückgegeben hatte, schaute sie ihre Bilder selbst noch einmal lange an, bevor sie
     sie in die Kiste zurücklegte. Offenbar kannte Inga jedes einzelne Bild genau und
     konnte es auch von den anderen unterscheiden, denn beim Einordnen schien sie eine
     bestimmte Reihenfolge einhalten zu müssen. Ich wollte meine Tante in den Arm nehmen,
     aber das ging nicht ohne weiteres, also drückte ich ihr fest mit beiden Händen die
     Hand, doch sie war ganz eingenommen vom Sortieren ihrer grotesken, identischen
     Porträts. Das Bernsteinarmband stieß dabei immer wieder mit lautem Klappern an die
     Kiste.

    Das metallene Schleifen eines Fahrradständers auf dem Hof
     und dann das Klappen des Gepäckträgers drangen von unten durch das offene Fenster.
     Ich lehnte mich hinaus, doch der Besucher war schon um die Ecke gegangen, um vorne
     an der Haustür zu klingeln. Mir kam das schwarze Fahrrad bekannt vor. Die Glocke,
     eine richtige Glocke mit Klöppel, schlug an. Hastig lief ich die Treppe hinunter,
     schritt den Korridor entlang und versuchte, durch die Glasscheiben neben der Haustür
     zu spähen. Es war ein alter Mann, er hatte sich vor das Fensterchen gestellt, damit
     ich ihn erkennen konnte. Überrascht öffnete ich die Tür.
    - Herr Lexow!
    Das freundliche Lächeln, mit dem er mich begrüßen wollte,
     wich einem Ausdruck der Verunsicherung, als ermich sah. Mir fiel
     ein, was ich anhatte, und schämte mich. Sicher dachte er, ich wäre eine morbide
     Wahnsinnige, die dort oben nackt die Kleiderschränke durchwühlte und in bizarren
     Kostümen irr über den Dachboden tanzte oder gleich über das Dach, das hatte es ja
     auch schon vorher in der Familie gegeben.
    - Oje, bitte entschuldigen Sie meinen Aufzug, Herr Lexow.
    Ich stotterte und rang nach einer Erklärung.
    - Mein eigenes Kleid hatte leider einen schrecklichen
     Fleck, und da ich kaum etwas zum Wechseln mithabe, sehen Sie, es ist so stickig im
     Haus –
    Sein freundliches Lächeln war längst wieder zurückgekehrt.
     Er hob beschwichtigend die Hand.
    - Das ist das Kleid Ihrer Tante Inga, nicht wahr? Es steht
     Ihnen ausgezeichnet. Sehen Sie, ich dachte mir, dass irgendjemand im Haus bleiben
     würde. Und da doch in der Küche gar nichts mehr ist, fand ich, habe ich mir erlaubt,
     nun, ich wollte einfach –
    Jetzt stotterte Herr Lexow. Ich ging einen Schritt zurück,
     um ihn zum Hereinkommen zu bewegen, schloss die Haustür hinter ihm und nahm ihm
     einen Baumwollbeutel ab, den er mir, während er sprach, hingestreckt hatte. Bevor
     ich darüber nachdenken konnte, in welches der leblosen Zimmer ich ihn führen könnte,
     bat er um Erlaubnis, vorangehen zu dürfen, und lief den Flur entlang in die Küche.
     Dort nahm er mir sanft die Tasche wieder ab, holte eine große Plastikschüssel
     heraus, öffnete ohne längeres Suchen einen der Unterschränke, griff nach einem Topf
     und stellte ihn auf den Herd. Ich ging ein paar Schritte näher. Er sagte nichts
     mehr, bewegte sich aber mit ruhiger Sicherheit in Berthas Küche. Ich musste Miras
     Bruder nun nicht mehr fragen, wer sich in BerthasAbwesenheit um
     Haus und Garten gekümmert hatte. Unschlüssig verlagerte ich mein Gewicht von einem
     Bein aufs andere. Obwohl die Küche so groß war, stand ich im Weg.
    - Ach, Kind, könnten Sie doch bitte ein bisschen
     Petersilie aus dem Garten holen?
    Er reichte mir eine Haushaltsschere. Vom Hof aus führte
     der Weg zwischen den beiden Linden hindurch in Berthas Küchengarten. Am Zaun
     rankelte Jelängerjelieber, das Gartentörchen war nur angelehnt und quietschte, als
     ich es aufschob. Petersilie war gleich vornan, überwuchert von Kapuzinerkresse,
     »Kapern«, wie Bertha und ihre Töchter sie nannten. Auch meine Mutter hatte im
     Spätsommer immer einen kleinen Becher mit den hellgrünen Früchten dieser Blume im
     Kühlschrank. Ich kann mich aber nicht erinnern, dass sie je ins Essen

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