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Der Geschmack von Apfelkernen

Der Geschmack von Apfelkernen

Titel: Der Geschmack von Apfelkernen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hagena
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gelangt wären.
     Wie kam es überhaupt, dass hier diese schüttere Reihe Petersilie wuchs? Die war doch
     gesät. Das galt auch für die struppigen Erbsen- und Bohnenranken, die gerade weiß
     und rosa und orange blühten. Hier stand eine schiefe Reihe Porree. Am Boden,
     zwischen Quecke und Kamille, krochen haarige Gurkenpflanzen und versuchten, mit
     ihren grauen Blättern das Unkraut beiseitezuschieben oder wenigstens mit Mehltau
     anzustecken.
    Zitronenmelisse hatte zusammen mit Minze die Vorherrschaft
     in den Beeten übernommen und wucherte zwischen den weißen Johannisbeeren, den
     kränkelnden Stachelbeerbüschen und den Brombeerranken, die über den Zaun in das
     angrenzende Wäldchen ausgebrochen waren. Herr Lexow musste versucht haben, Berthas
     Küchengarten zu erhalten, aber er hatte nicht deren Gabe, jeder Pflanze ihren Ort
     zuzuweisen und mit sanftem Nachdruck das Beste aus ihr herauszuholen.
    Ich durchschritt den Küchengarten, um nach Berthas alten Stauden zu
     sehen, die das Gedächtnis meiner Großmutter ehrten oder dem Zerfall desselben
     trotzten. Es kam auf dasselbe heraus. Das wogende Dickicht aus Phlox duftete zart.
     Rittersporn streckte blaue Lanzen in den Abendhimmel. Lupinen und Ringelblumen
     leuchteten über dem Boden, Glockenblumen nickten mir zu. Die dicken Herzblätter der
     Funkien ließen kaum einen Blick auf die Erde frei, dahinter schäumten Hortensien,
     eine ganze Hecke voll, blaurosa, rosablau aus dem Blattwerk. Dunkelgelbe und
     rosarote Schirme aus Schafgarbe neigten sich über die Wege, und als ich sie
     zurückbog, rochen meine Hände nach Kräutern und Sommerferien.

    Zwischen Johannisbeeren und Brombeergestrüpp lag der
     wildere Teil des Gartens. Doch er hatte sich schon ganz in seine Schatten
     zurückgezogen. Hinter dem Garten begann das Kiefernwäldchen. Der Boden hier war
     rostrot und bestand nur aus herabgefallenen Nadeln. Jeder Schritt federte lange und
     lautlos nach, und man ging dort wie verzaubert, bis man an der anderen Seite auf die
     große Obstbaumwiese hinaustrat. Früher hatten Rosmarie, Mira und ich alte
     Tüllgardinen zwischen die Bäume gehängt und uns Feenhäuser gebaut, in denen wir dann
     lange und komplizierte Liebesdramen spielten. Zuerst waren es nur Geschichten von
     drei Prinzessinnen, die von einem ungetreuen Kämmerer entführt und verkauft worden
     waren, nach jahrelangem Frondienst ihren grausamen Pflegeeltern zu entkommen
     vermochten, nun im Wald wohnten und dort durch einen glücklichen Zufall ihre
     richtigen Eltern wieder trafen. Danach gingen die Prinzessinnen zurück und
     bestraftenalle, die ihnen je Unrecht getan hatten. Rosmarie
     übernahm den »Ausbruch«, ich das »Wiedersehen«, Mira die »Rache«.

    Ich ging zu der Pforte des Gartens, die in das Wäldchen
     führte, und spähte ins Dunkelgrün. Schon schlug es mir harzig und kühl entgegen. Ich
     fror, fasste meine Schere fester und ging zurück zur Petersilie. Kaum hatte ich ein
     großes Büschel abgeschnitten, roch es sofort nach Erde und Küche, obwohl die krausen
     Blätter schon ziemlich gelb waren. Sollte ich noch Liebstöckel abschneiden? Besser
     nicht. Ich dachte an den Nachmittag mit Rosmarie und Mira im Garten. Das war das
     letzte Mal, dass ich mit Mira gesprochen hatte.
    Ich stand auf, lief durch das Scheunentor, der Lehmboden
     war eisig, schob hinter mir die Riegel vor und hob die Eisenstäbe auf ihre Haken,
     rannte die Stufen zur Küche hoch und wurde fast schwindelig vom Duft der
     Gemüsesuppe, der sich dort breitgemacht hatte. Das Büschel Petersilie legte ich
     neben den dampfenden Topf. Herr Lexow bedankte sich und schaute kurz hoch. Ich war
     lange fortgeblieben für so einen kleinen Auftrag.
    - Gleich fertig. Ich habe hier in der Küche gedeckt.
    Und richtig, auf dem Küchentisch stand ein weißer
     Suppenteller und daneben lag ein großer Silberlöffel.
    - Aber Sie müssen doch auch etwas davon essen! Bitte, Herr
     Lexow.
    - Na gut, liebe Iris, sehr gerne.
    Wir setzten uns an den Tisch, die Suppe stand im Kochtopf
     vor uns, die Petersilie klein gehackt auf einem Holzbrett daneben. Wir aßen die
     herrliche Suppe, in der dicke Karottenstücke und Kartoffelwürfel, Erbsen, klein
     geschnittene grüne Bohnen und eine große Mengedurchsichtiger
     Porreeringe schwammen. Dann ging ein Ruck durch Herrn Lexow. Er wollte etwas sagen,
     doch ich bemerkte es erst, als ich selber meinen Kopf hob, um etwas zu sagen.
    - HerrLexowliebeIris, begannen wir

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