Der Geschmack von Apfelkernen
unzertrennlich. Sie tuschelten und
kicherten durchaus so viel wie die anderen Mädchen ihres Alters, aber eben immer nur
miteinander. Manche hielten sie für dünkelhaft, denn Carl Deelwater besaß am meisten
Weideland und den größten Hof in Bootshaven. Außerdem hatte er für sich und seine
Familie eine eigene Kirchenbank in der ersten Reihe gekauft, in die sein Nachname
eingeschnitzt war. Nicht dass er besonders fromm gewesen wäre. Selten genug ging er
in die Kirche, aber wenn er es tat, an den hohen Feiertagen wie Ostern, Weihnachten
und Erntedank, dann saß er vorne in seiner eigenen Bank mit seiner Frau und den
Töchtern und ließ sich von der kleinen Gemeinde begaffen. An den vielen Sonntagen im
Jahr, an denen er nicht in die Kirche ging, bliebdie Bank leer und
wurde ebenfalls begafft. Anna und Bertha waren stolz auf ihren schönen Hof und auf
ihren wunderbaren Papa, der sich zwar um die Hoferbschaft sorgte, dies aber nie
ihnen beiden oder seiner Frau zum Vorwurf machte, sondern seine »drei Deerns«
möglichst zu verwöhnen trachtete.
Beide Töchter mussten auf dem Hof mit anpacken, sie gingen
ihrer Mutter im Haus zur Hand und halfen dem Mädchen Agnes in der Küche, das jeden
Tag kam und überhaupt kein Mädchen war, sondern eine gestandene Frau mit drei
erwachsenen Söhnen. Sie kochten Saft mit Agnes und rupften Hühner. Aber am liebsten
und am meisten arbeiteten sie draußen im Garten.
Ab Ende August waren sie nur noch in den Apfelbäumen.
Die hellen Glockenäpfel kamen zuerst, sie schmeckten nach
Zitrone, und wenn sie erst einmal angebissen waren, konnten sie gar nicht so schnell
gegessen werden, wie sie innen schon wieder braun wurden. Die wurden nicht verkocht,
ihr Aroma verflog wie der Augustwind, unter dem sie gereift waren. Dann kamen
langsam die Cox-Orange-Bäume, zuerst der große, der so nah am Haus stand und von den
roten Klinkersteinen, die tagsüber die Hitze gespeichert hatten, bestrahlt wurde,
sodass seine Früchte immer größer und süßer und früher reif waren als die der
anderen Apfelbäume. Ab Oktober waren sie dann alle so weit. Anna und Bertha bewegten
sich fast so behände in den Bäumen wie auf dem Boden. Ein Pferdeknecht hatte ihnen
vor Jahren ein paar Bretter auf einen besonders ausladenden Boskopbaum genagelt,
damit sie ihre Körbe darauf abstellen konnten. Aber die Mädchen saßen dort lieber
selbst. Dann lasen sie sich Bücher vor, tranken Saft und aßen Äpfel und
Butterkuchen, denAgnes ihnen immer dann herausbrachte, wenn einer
ihrer Söhne vorbeigekommen war und selbst auch ein großes Stück Butterkuchen von ihr
bekommen hatte. So konnte sie wenigstens sagen, Bertha und Anna hätten davon
gegessen, falls vielleicht mal jemand fragte, warum von den beiden Blechen
Butterkuchen nur noch eines da war. Aber es fragte nie jemand.
Natürlich erzählte Herr Lexow mir nicht von Agnes’
Butterkuchen. Ich glaubte nicht einmal, dass er wusste, dass es Agnes gegeben hatte.
Ich saß am Küchentisch in Berthas Haus und sah meine Großmutter als Kind und meine
Großtante Anna, die nie anders dreinblickte als auf dieser Fotografie. Ich erinnerte
mich bei einem Becher lauwarmer H-Milch an Dinge, die Bertha meiner Mutter und diese
mir erzählt hatte, die Tante Harriet Rosmarie und Rosmarie Mira und mir erzählt
hatte, an Dinge, die wir uns ausgedacht oder zumindest ausgemalt hatten. Einige Male
hatte auch Frau Koop uns erzählt, wie ihr Mann als Kind den Lehrer tot in der Klasse
gefunden hatte. Aus dem Nachbarsjungen Nikolaus Koop war ein gutmütiger, fleißiger
Bauer geworden, der außer dem grauen Star auch große Angst vor seiner Frau hatte.
Seine Augen hinter dicken Brillengläsern begannen aufgeregt zu zwinkern, sobald er
nur ihre Stimme hörte. Seine Lider flatterten wie die Flügel jenes Bluthänflings,
der einmal aus Versehen durchs offene Wohnzimmerfenster des Deelwater’schen Hauses
geflogen war und nicht mehr hinausfand. Tante Harriet war aufgesprungen und hatte
uns befohlen, alle Fenster zu öffnen, damit er sich nicht an der Glasscheibe das
Genick breche. Der Vogel flog davon, zwei rote Federn blieben auf der Fensterbank
zurück.
Nikolaus Koop zwinkerte oft, und wir hatten zudem beobachtet, dass
er jedes Mal, wenn er seine Frau ansah, die Brille auf die Stirn zu schieben
pflegte. Mira glaubte, er versuche durch selbst auferlegte Blindheit seiner Frau zu
entkommen,
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