Der Geschmack von Apfelkernen
ihn fröhlich und charmant, und so fragte ich auch ihn, wie der Garten denn im Winter aussehe. Hinnerk zwinkerte uns zu, schaute aus dem Fenster und nach einem dramatischen Seufzer wandte er sich uns zu und sprach mit tiefer Stimme:
I m Winter kommt der graue Mann,
der Frost, der Frost, mein Kind.
Und wer sich nicht warm anziehn kann,
verkühlt sich ganz geschwind.
Wird niesen, husten, röcheln, schniefen
und durch die Nase sprechen.
Sie selbst wird rot und etwas triefen –
der Winter bringt Gebrechen.
Und einsam wirst du dir im Haus
die rote Nase tupfen.
Kein Mädel geht heut mit dir aus,
denn du, du hast den Schnupfen.
Und einsam gehst du durch den Garten,
dein Herz wird traurig klopfen:
Kein Mädel wird heut auf dich warten
aus Angst vor kleinen Tropfen.
Hinnerk lachte dröhnend und verbeugte sich. Bravo, riefen wir mehr höflich als aufrichtig und klatschten in unsere behandschuhten Hände. Rosmarie und ich trugen weiße, die man am Handgelenk zuknöpfen konnte. Miras Handschuhe waren aus schwarzem Satin und reichten ihr über die Ellbogen. Hinnerk ging lachend wieder hinunter, die Treppe krachte unter seinen Schritten. Ob er sich das Gedicht wirklich in diesem Moment ausgedacht habe, wollte Mira wissen. Ich hätte es auch gern gewusst, aber Rosmarie zuckte mit den Schultern. Kann sein, sagte sie, er macht ständig Gedichte. Er hat ein ganzes Buch voll davon.
Inzwischen hatten Max und ich das Wort auf der Wand erreicht, ich rollte über das i, er über das N. Langsam kamen wir uns in die Quere.
- Ich mach das hier zu Ende, sagte ich, mach du doch mit einer anderen Wand weiter. Eine einzelne weiße Wand sieht auch komisch aus, jetzt malen wir eben alle weiß. Geht ja doch schnell.
Max nahm sich einen neuen Eimer, öffnete den Deckel, rührte drin herum und schleppte ihn dann um die Ecke, um die Seite anzumalen, die dem Wäldchen ganz zugewandt war.
- Sag mal, Max …
Ich sprach zu meiner Wand. Max’ Stimme kam von rechts:
- Hm?
- Hast du eigentlich nichts Besseres zu tun, als heute Abend hier zu streichen?
- Beschwerst du dich?
- Nein, natürlich nicht, ich freue mich. Wirklich. Aber du hast doch ein Leben, ich meine, du wirst doch wohl, na, du verstehst schon.
- Nein, ich verstehe nicht. Das wirst du jetzt schön zu Ende sagen, Iris. Ich denke nicht daran, dir da rauszuhelfen.
- Also gut, selber schuld. Ich wollte nur höflich sein. Es kommt mir so vor, als würdest du dich auf mich und meine Angelegenheiten werfen, als gäbe es sonst gerade nichts in deinem Leben, ist das so?
Max blickte um die Ecke und schaute mich mit zusammengekniffenen Augen an. Er sagte:
- Vielleicht ja, vielleicht ist das gerade so. Und jetzt folgerst du natürlich mit deinem armseligen kleinen Weiberhirn, dass ich hier nur herumhänge, weil ich so einsam und gelangweilt bin.
Max seufzte, schüttelte den Kopf und verschwand wieder hinterm Hühnerhaus. Ich holte tief Luft:
- Und? Bist du’s?
- Einsam und gelangweilt?
- Ja?
- Zugegeben. Manchmal ein bisschen. Aber es treibt mich im Allgemeinen nicht dazu, die Gesellschaft fremder Frauen aufzusuchen und handwerkliche Arbeiten in und an ihren Häusern und Hühnerhäusern zu verrichten.
- Hm. Also sollte ich das hier persönlich nehmen?
- Unbedingt.
- Was machst du, wenn du nicht Hühnerhäuser anmalst oder arbeitest?
- Oje, ich wusste, das würde kommen. Verdammt wenig, Iris. Also. Ich spiele zweimal die Woche Tennis mit einem Kollegen. Ich gehe abends laufen, obwohl ich Laufen todlangweilig finde. Wenn es heiß ist, gehe ich schwimmen, ich sehe fern, lese jeden Tag zwei Zeitungen und blättere ab und zu den »Spiegel« durch. Manchmal gehe ich nach der Arbeit ins Kino.
- Und wo ist deine Frau? Bei euch auf dem Land hat man doch schon mit Mitte zwanzig zwei bis drei Kinder von einer Frau, die man mit sechzehn kennengelernt hat.
Ich war froh, dass ich ihn nicht sehen konnte.
- Stimmt. Hätte ich auch fast gehabt. Meine letzte Freundin, die ich übrigens erst mit zweiundzwanzig kennengelernt habe und mit der ich vier Jahre zusammen war, ist letztes Jahr weggezogen. Sie war Krankenschwester.
- Warum bist du nicht mitgegangen?
- Sie wechselte das Krankenhaus, noch weiter weg von der Stadt als hier. Und bevor wir überlegen konnten, ob wir in der Mitte zwischen ihrem Krankenhaus und meiner Kanzlei zusammenziehen sollten, da hatte sie schon eine Affäre mit dem Chefarzt.
- Oh, das tut mir leid.
- Mir auch. Aber was mir am meisten leidtat, war, dass
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