Der Geschmack von Apfelkernen
gefahren sein, denn ich sah vor mir die Sommersprossen in ihren Kniekehlen. Aber vielleicht war das auch bei einem anderen Radausflug gewesen.
Ich hatte auch damals schon das Grüne von Tante Inga an, ganz sicher. Denn ich fühlte mich auf der Hinfahrt wie eine Flussnymphe und auf der Rückfahrt wie eine aufgeblähte Wasserleiche.
Mira trug schwarz.
Wir nahmen die Badesachen von den Gepäckträgern, warfen die Räder oben ans Ufer und rannten hinunter auf einen der Anglerstege. Ich legte mir ein riesiges Handtuch über die Schultern und versuchte, mich darunter auszuziehen. Außer uns war niemand da. Mira und Rosmarie lachten, als sie mich sahen.
- Warum musst du dich denn so verstecken? Was sollte man dir denn schon weggucken?
Doch ich schämte mich meines Körpers, gerade weil ich noch nichts hatte, dessen man sich hätte schämen können. Rosmarie hatte kleine feste Brüste mit aufmüpfigen rosa Brustwarzen, Mira hatte einen erstaunlich großen Busen, den man bei ihren schmalen Schultern und unter ihren schwarzen Pullis nicht vermutete. Ich hatte nichts. Nichts Richtiges. Es war hier oben nicht mehr so flach wie noch vor einem Jahr, als ich noch ganz unbefangen mit einer Badehose zum Schwimmen ging. Irgendetwas war da schon, aber es war seltsam und peinlich und fühlte sich falsch an. Ich verstand nicht, warum sich in den Hallenbädern die Mädchen immer in einem Gemeinschaftsraum umziehen mussten, während die Damen Einzelkabinen hatten. Umgekehrt wäre es sinnvoller gewesen: Das Unfertige bedurfte der Verhüllung. Das war bei Kunstwerken nicht anders als bei Kartoffelkäfern. Mir war schon klar, zu welcher der beiden Gruppen ich gehörte.
Wir legten uns auf den Holzsteg und verglichen unsere Hautfarben. Alle waren wir furchtbar käsig; und obwohl ich die hellsten Haare hatte, hatte ich die dunkelste Haut von uns dreien, einen Gelbton, Mira war alabastern, Rosmarie bläulich geädert mit Sommersprossen. Dann verglichen wir unsere Körper, Rosmarie sprach über Brüste und darüber, dass sie kleiner wurden nach der Regel. Ich verstand nicht, was sie sagte, welchen Regeln zufolge wurden Brüste groß und klein? Und gab es Regeln, nach denen Brüste für immer so stummelig bleiben würden wie meine? Mira und Rosmarie lachten noch lauter. Ich wurde rot und heiß und wusste nur, dass ich irgendetwas nicht wusste, was ich hätte wissen müssen, meine Augenbrannten, und um nicht zu heulen, biss ich mir von innen auf die Wangen.
Mira fasste sich als Erste und fragte, ob mir meine Mutter nicht erklärt habe, dass bei Frauen einmal im Monat Blut unten rauskomme. Ich war entsetzt. Blut. Davon hatte mir keiner was gesagt. Dunkel erinnerte ich mich an etwas, das meine Mutter »die Tage« genannt hatte, aber das hatte etwas damit zu tun, dass man beim Sport nicht mitmachen konnte. Ich war wütend auf meine Mutter. Und wütend auf Mira und Rosmarie. Ich hätte sie gerne getreten. Mitten hinein in ihre wabbeligen Quallenbrüste.
- Schau mal, sie hat es echt nicht gewusst, Mira! rief Rosmarie. Regelrecht entzückt.
- Ja. Stimmt. Wie süß!
- Natürlich habe ich es gewusst, ich wusste nur nicht, dass man es »Regel« nennt. Wir zu Hause sagen »Tage« dazu.
- Okay, dann weißt du also auch, was man nimmt, damit nichts ausläuft.
- Ja, klar.
- Und? Was?
Ich schwieg und biss mir wieder von innen in die Backen. Es tat weh und lenkte mich ab. Mit der Zunge konnte ich den Abdruck meiner Zähne abtasten. Ich wollte nicht zugeben, wie wenig ich wusste, aber ich wollte auch nicht das Thema wechseln, weil ich unbedingt mehr herausbekommen musste.
Rosmarie schaute mich an, sie lag in der Mitte, ihre Augen glänzten silbrig wie die Haut der schmalen Fische im Kanal. Sie schien zu wissen, was in mir vorging.
- Ich sag’s dir: Tampons und Binden. Mira, erklär’ ihr, wie ein Tampon funktioniert.
Was Mira da sagte, verstörte mich: dicke, harte Wattestäbchen, die man sich unten reinschob, Fäden, die aus einem heraushingen, und immer wieder Blut, Blut, Blut. Mir wurde schlecht. Ich stand auf und sprang ins Wasser. Hinter mir hörte ich Rosmarie und Mira lachen. Als ich wieder aus dem Wasser kam, sprachen die beiden über ihr Gewicht.
- … und unsere kleine Iris hier hat auch einen ganz schön dicken Hintern.
Rosmarie schaute mich herausfordernd an. Mira prustete:
- Das kommt von den Schogetten eures Opas.
Es stimmte, ich war nicht dünn. Ich war nicht einmal schlank. Ich hatte einen dicken Po und dicke Beine, keinen
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