Der Geschmack von Glück (German Edition)
wohler fühlen würden. Er würde ihnen ganz Henley zeigen, sie zum Abendessen in den Lobster Pot einladen, sie zum Stadtfest mitnehmen und mit ihnen das Feuerwerk anschauen, so wie früher, als er noch klein war. Vielleicht könnte er mit seinem Vater Angeln gehen. Vielleicht könnten sie sogar Ellie kennenlernen.
Als der Anrufbeantworter ansprang – seit Jahren dieselbe Ansage –, erschrak er und räusperte sich. »Hallo«, begann er zögerlich. »Ich bin’s. Wollte nur mal hören, ob ihr am Vierten was vorhabt. Wenn nicht, dachte ich, ihr könnt vielleicht herkommen und mich besuchen. Würde euch bestimmt gefallen hier. Erinnert mich irgendwie an zu Hause. Und es wäre vielleicht sogar ganz nett, wenn ihr das ganze Wochenende hier wärt. Ich bin übrigens in Maine, falls ich das noch nicht gesagt habe. Lasst mich jedenfalls wissen, was ihr davon haltet …«
Er verstummte und legte dann schnell auf. Er war sich schon nicht mehr so sicher. Seine Eltern verreisten kaum. Als Graham noch klein war, hatten sie im Jahr genau einen Familienurlaub gemacht: Sie fuhren zwei Stunden zu einem Motel am Meer, wo sie drei Tage blieben, um dann mit rosigen Wangen und leichtem Sonnenstich von den Stunden am Strand zurückzukehren. Es war gar nicht so, dass die Welt sie nicht interessierte; mit ihren mageren Lehrergehältern konnten sie sich einfach nicht mehr leisten.
»Wir leben in Kalifornien«, pflegten sie fröhlich zu sagen. »Unser ganzes Leben ist ein einziger Urlaub.«
Doch das Kalifornien, in dem Graham aufgewachsen war, unterschied sich fundamental von dem Kalifornien, in dem er jetzt lebte. Sogar von dem, in dem er dann zur Schule gegangen war – zwanzig Minuten Fahrt von seinem Elternhaus entfernt, doch es hätten auch zwanzig Stunden sein können. Kurz vor dem Wechsel auf die Highschool hatte er ein Teilstipendium für eine Privatschule ein paar Vororte weiter ergattert, und seine Eltern finanzierten den Rest mit dem Geld, das seine Großeltern ihm hinterlassen hatten. Graham kam die Summe damals riesig vor, und er hatte ein schlechtes Gewissen, weil er es für sich verwendete, wo sie doch so viel damit hätten anstellen können: das Haus renovieren, das stotternde Auto ersetzen, die Rechnungen bezahlen, die sich mit erschreckendem Tempo auf Dads Schreibtisch ansammelten.
Jetzt hatte Graham natürlich genug Geld, das alles zu erledigen: Er konnte seinen Eltern ein neues Haus oder eine ganze Wagenflotte kaufen, konnte sie auf Weltreise schicken und all ihre Schulden bezahlen, ohne mit der Wimper zu zucken. Doch sie wollten eigentlich nur eins – was sie schon immer gewollt hatten: dass er studierte.
Sie legten seiner Leinwandkarriere gar keine Steine in den Weg, aber anscheinend duldeten sie die Schauspielerei nur; für sie waren die Filme ein Sprungbrett für die akademische Karriere, keine Entscheidung für den Rest des Lebens. Sein Vater schaute sich bloß alte Schwarz-Weiß-Klassiker an und betrachtete nichts, was in den letzten Jahrzehnten gedreht worden war, als Kunst. Als Graham die beiden zur Premiere seines ersten Films mitgenommen hatte, klatschten und lächelten sie zwar an den richtigen Stellen, doch ihm war schmerzlich bewusst, wie er auf sie gewirkt haben musste mit den Kampfszenen voller aufgeblasener Spezialeffekte, den überdrehten Dialogen und am schlimmsten der unerträglich kitschigen Szene, als er schließlich die Heldin küsste. Bis dahin war ihm das nie aufgefallen.
Graham war sehr wohl bewusst, dass sie sich zwar noch zurückhielten, weil ihnen seine neue Welt fremd war, aber dass sie trotzdem hofften, er würde endlich zur Besinnung kommen und diesen Schauspielkram hinter sich lassen. Sie redeten über seine Leinwandkarriere oft, als würde er nur ein Jahr aussetzen, als würde er das Studium nur aufschieben, um eine Saison mit dem Zirkus durchs Land zu ziehen oder auf Bali das Paarungsverhalten einer Affenart zu erforschen. Doch in Wahrheit hatte Graham überhaupt nicht vor, im nächsten Jahr aufs College zu gehen. Wenn er den Highschoolabschluss mit Hilfe seines Privatlehrers geschafft hatte, dann war’s das für ihn.
Das lag zum Teil daran, dass ihm die Schauspielerei richtig Spaß machte und er sich nicht vorstellen konnte, die zahllosen Möglichkeiten sausenzulassen, die noch kommen würden, die vielen Schauspieler, mit denen er noch arbeiten, die Rollen, die er noch spielen wollte. Zum Teil aber auch daran, dass er keinen Sinn darin sah, aufs College zu gehen. Das tat
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