Der Geschmack von Sommerregen (German Edition)
ihn mir so anschaue, mit diesem kräftigen, wohlgeformten Oberkörper unter dem weißen T-Shirt … Ich schlucke, und trotz des kühlen Morgens wird mir heiß.
Eigentlich müssten meine Fotos einfarbig werden, denke ich beschämt. Ich müsste sie mit der Farbe meines Begehrens einfärben: Blau. Okay, das verliebte Gold müsste auch noch mit drauf, und die hellrote Aufregung, wenn Mattis mir einen seiner sinnlichen Blicke schenkt, und das glücklich-flauschige Weinrot, wenn ich daran denke, dass er tatsächlich mir gehört, und …
»Kann’s losgehen?«, fragt Mattis, und ich schrecke aus meinen Fototräumereien auf.
Ich reiße mich zusammen, nicke und klopfe auf meine Kamera, als Zeichen dafür, dass ich bereit bin.
Doch als ich Mattis zur Schusslinie folge, die aus einer Reihe von Steinplatten inmitten der Wiese besteht, kehren meine Gedanken zurück zu den eingefärbten Fotos. Ich habe sie so klar vor mir gesehen, dass ich sie gar nicht mehr aus dem Kopf bekomme, und plötzlich ist die Versuchung, diese Fotos Wirklichkeit werden zu lassen, riesengroß.
Ob ich es schaffen würde, meine Farben tatsächlich vom Innen ins Außen zu holen, mit Hilfe von Kamera, Computer und Photoshop-Programm? Ob ich mich daranwagen soll – nur ein einziges Mal? Ob es mich erleichtern würde, meine Gefühle auf diese Weise ausdrücken zu dürfen?
Ich könnte es heimlich tun, flüstert es lockend in mir. Ohne das Ergebnis je irgendjemandem zu zeigen. Niemand müsste davon erfahren, niemand würde Fragen stellen.
Ich hebe meine Kamera und richte sie auf Mattis. Schaue aufmerksam zu, wie er die Sehne spannt, zielt und dabei ein Auge zukneift. Er schießt den Pfeil nicht sofort ab, wie ich es vermutet hätte, sondern wartet und konzentriert sich. So lange, bis er vollkommen in sich ruht und doch unbeirrbar die Mitte der Zielscheibe fixiert, die in siebzig Metern Entfernung auf ihn wartet.
Auch ich ziele – mit meiner Kamera. Wie immer, wenn ich fotografiere, zersplittert die Welt in tausend Details, und jedes einzelne möchte ich würdigen: Mattis’ lange, schwarze Wimpern … Seine gekrümmten Finger, die in den nächsten Sekunden die Sehne loslassen werden … Die minimale, kaum wahrnehmbare Veränderung seines Gesichtsausdrucks, als er sich entschließt, zu schießen und … Klick! Der Pfeil zischt davon.
Ich atme erleichtert auf. Ich habe genau den richtigen Moment erwischt, und als Mattis noch einen Augenblick lang wie eine Statue verharrt, dann entspannt den Bogen sinken lässt und mir den Kopf zuwendet, da strömt mir das Glück so weich und rot durch den Körper, dass ich fast erwarte, Mattis könne es sehen.
»Möchtest du es nicht doch mal probieren?«, lockt er mich lächelnd. »Ich helfe dir auch. Es macht Spaß, du wirst sehen.«
»Na gut«, gebe ich nach. Um sofort einzuschränken: »Aber nur ein Mal!«
Er streckt die Hand nach mir aus, und ich gehe zu ihm und bleibe etwas unsicher auf den Steinplatten stehen. Meine Kamera verstaue ich in der Fototasche, die über meiner Schulter hängt. In sicherem Abstand lege ich sie auf den Boden.
»Und jetzt«, sagt Mattis leise, »nimm den Bogen. Wir fangen mit der Zehn-Meter-Scheibe an.«
Ich schlucke, fühle mich blau wie ein Tintenfass. Mattis hat absolut nichts Unanständiges gesagt, aber seine raue Samtstimme … in Verbindung mit diesem tiefen Blick … Das macht es mir doch ziemlich schwer, ans Bogenschießen zu denken.
Trotzdem nehme ich Pfeil und Bogen entgegen und befolge Mattis’ Anweisungen: seitlich zur Schusslinie stehen. Schultern entspannt runterhängen lassen (entspannt?!), Pfeil auf die Pfeilauflage legen, Arm gerade halten, Bogen heben.
Mattis’ Worte erreichen mein Ohr, doch ich habe Mühe, sie in Handlung umzusetzen. Denn ich bin vollauf mit anderem beschäftigt: mit dem Gefühl, das seine breite, harte Brust an meinem Rücken auslöst. Mit seinen kräftigen Armen, die meinen Oberkörper umschlingen, um mir zu helfen, den Bogen richtig zu halten. Mit Mattis’ Wärme, seinem Duft, der Verheißung seiner Nähe.
Mattis’ Hand legt sich um meine. »Wir zielen zusammen«, sagt er und steht nun so dicht hinter mir, dass nicht mal mehr ein Blatt Papier zwischen uns passen würde. Unsere Hände liegen gemeinsam auf Bogen und Sehne. Ganz langsam ziehen wir die Sehne zurück. Richten den Pfeil auf die Zehn-Meter-Scheibe. Und atmen unwillkürlich schneller dabei, wobei zumindest meine Erregung keineswegs in sportlichem Ehrgeiz begründet
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