Der Geschmack von Sommerregen (German Edition)
das noch gar nicht gefragt. Bist du noch …«
»Nein«, sage ich hastig, bevor er das Wort Jungfrau aussprechen kann. Mein Gesicht ist schon rot genug. »Bin ich nicht mehr.«
»Okay«, sagt er rau, und ich kann seinen Tonfall nicht deuten: Ist er nun erleichtert oder enttäuscht?
»Und du?«, frage ich zurück und male mit der Fingerspitze kleine Kreise auf seine Brust. »Wie viele Freundinnen hattest du schon?«
»Ein paar.«
Ein paar?! Was soll das denn heißen, bitte schön?
»Wenn du sie nicht mal mehr zählen kannst, waren es wohl ziemlich viele, hm?« Ich bemühe mich, meinen Worten einen neckenden, unbeschwerten Klang zu verleihen, doch auf meinem inneren Monitor bricht grellgrün und schleimig die Eifersucht auf. Gleichzeitig kehrt mit Macht das Beige zurück.
»Ach was«, wehrt er ab. »Mit Nicola war ich ziemlich lange zusammen. Und davor … Na ja, ein Mönch war ich nicht. Aber ich war meinen Freundinnen nie untreu oder so.«
Seine Worte beruhigen mich keineswegs, und ich frage mich, warum ich dieses blöde Gespräch nicht im Keim erstickt habe. Will ich wirklich wissen, wie viele Mädchen Mattis schon im Bett hatte? Will ich wissen, ob ich einfach die nächste in einer langen Reihe von Eroberungen bin – die nächste, aber ganz bestimmt nicht die letzte? Denn selbst wenn Mattis nicht zur Untreue neigt, kann er ja einfach Schluss machen, wenn ich anfange, ihn zu langweilen.
Da legt Mattis den Zeigefinger unter mein Kinn, hebt meinen Kopf an und schaut mir direkt in die Augen. »Sophie, mach dir keine Sorgen. Bitte. Auch wenn ich schon Erfahrung habe, heißt das nicht, dass das mit dir …« Er holt tief Luft. »Also, ich habe für keine meiner Freundinnen so gefühlt wie für dich. Mit dir, das ist …« Wieder bricht er ab, sucht nach den richtigen Worten.
Und ich warte, atemlos und ängstlich.
Meine Gefühle fahren Achterbahn: unten das schleimige, eifersüchtige Grün, oben goldüberglänzte Liebe. Unten das Beige dieser nagenden Unsicherheit, oben elfenbeinfarbene Hoffnung. Die Hoffnung darauf, dass ich für Mattis the one and only bin.
»… anders«, sagt Mattis schließlich hilflos. »Mit dir ist es einfach anders. Ich kann das schlecht erklären, ich habe es ja selbst noch nie erlebt, aber du bist mir … vertraut, obwohl wir uns erst so kurz kennen. Ich, na ja, ich glaube, Sophie, dass ich …«
»Was?«, flüstere ich.
Mattis wälzt sich herum, beugt sich über mich und küsst mich, heftig und zärtlich zugleich. Dann flüstert er in mein Ohr: »Eigentlich ist es ganz einfach. Es ist nur so schwer auszusprechen. Ich … liebe dich, Sophie. Ich liebe dich.«
Er liebt mich.
Ich umschlinge Mattis’ Rücken so fest, dass ich selbst kaum mehr Luft bekomme, und alle Farben in mir verabschieden sich, alle bis auf das Gold, das aufstrahlt, funkelt und glänzt.
»Ich liebe dich auch«, höre ich mich durch das Gold hindurch sagen, und es fühlt sich ganz natürlich an, ihm das zu gestehen – ihm meine Euphorie zu zeigen – ihm meine Seele offenzulegen und mich damit verletzlich zu machen.
Schließlich ist Mattis das gleiche Risiko eingegangen.
Wir bleiben eng umschlungen liegen, rühren uns nicht, als könnten Liebe und Glück davonflattern, wenn wir uns zu rasch bewegten. Alles ist neu und wunderbar und zerbrechlich, und vor lauter Behagen dämmere ich in einen leichten Schlaf hinüber …
… als ein Gedanke in mir aufblitzt und ich schlagartig hellwach bin.
Denn Mattis liebt gar nicht mich.
Er liebt die, die ich ihm präsentiere: das ganz normale Mädchen aus seiner Klasse.
Aber was ist mit der, die ich wirklich bin?
Und wer bin ich überhaupt?
Ich bin Sophie, der Farben-Freak. Sophie, die überall Gold sieht, wenn sie verliebt ist, und die in Blau badet, wenn sie Lust auf Sex hat. Verdammt, dieses ganze Farben-Ding ist total abartig – und doch gehört es zu mir wie meine Seele, meine Gedanken, meine Arme und Beine.
Meine Farben und ich sind eins.
Mattis liegt halb auf mir, entspannt, mit geschlossenen Augen, glücklich nach unserer gemeinsamen Liebeserklärung, doch für mich ist nun alles anders. Durch meine Adern rauscht das Adrenalin, mein Herz klopft wie verrückt. Denn wenn ich möchte, dass Mattis mich wirklich liebt, dann muss ich es ihm sagen.
Ich muss ihm einen Blick auf mein größtes Geheimnis gewähren.
Vor nichts auf der Welt habe ich so viel Angst.
Siebzehn
Am Sonntag besuchen die Bendings eine alte Großtante in München (worauf Mattis und
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