Der Geschmack von Sommerregen (German Edition)
er.«
»Meine Rede!« Lena nickt befriedigt. »Ey, lass dich doch von den eifersüchtigen Schlampen nicht so verunsichern.«
Ich hole tief Luft, atme langsam wieder aus. Irgendwo habe ich gehört, langsames Atmen wirke beruhigend auf den Körper und infolgedessen auch auf den Geist. Wenn dem so ist, weiß mein Geist allerdings nichts davon, denn er beruhigt sich kein bisschen. Hätte ich gerade einen Bleistift zur Hand, würde ich ihn abnagen wie ein Biber.
»Trotzdem ist es ätzend«, versuche ich mich zu rechtfertigen, »wenn einem so viel Hass entgegenschlägt.«
»Übertreibst du nicht ein bisschen? Die hassen dich doch nicht! Sie sind nur sauer, weil du die leckere Sahnetorte ganz allein aufessen darfst. Das ist alles.«
Ich kann nicht mal über den Vergleich mit der Sahnetorte lachen.
Lena schlägt mit der Faust auf den Tisch, so fest, dass die Tassen klirren und die Jungs am Nebentisch interessiert zu uns rüberschauen. »Verdammt, Sophie, worum geht es hier eigentlich? Wovor hast du wirklich Angst?«
Davor, dass sie mein Geheimnis entdecken, schießt es mir durch den Kopf. Dass sie irgendwie ans Licht zerren, was ich vor allen verstecke. Ich weiß, dass sie das eigentlich nicht können, aber meine Panik ist stärker als mein Verstand. Mann, ich hab so eine Scheiß-Angst davor, Mattis und Lena zu verlieren!
»Vor nichts hab ich Angst«, sage ich kurz.
Lena schaut mich zweifelnd an. »Sie haben dir nichts getan«, versucht sie von Neuem mir den Kopf zurechtzurücken. »Sie gucken bloß. Das ist weder verboten, noch tut es dir weh. Also hör auf, dir Gedanken darüber zu machen, okay?«
Ich beiße mir auf die Unterlippe, nicke und hoffe, dass Lena mir nicht ansieht, wie wenig ich ihren Optimismus teile. Denn sie werden mir wehtun.
»Gehen wir morgen ins Freibad?«, wechselt Lena das Thema. »Leon hätte auch Bock. Und wenn dein Mattis so ein göttlicher Schwimmer ist, wie du immer sagst«, sie grinst, »dann kommt er doch bestimmt gerne mit.«
Ich zucke mit den Schultern, zwinge meinen Kopf, sich auf den Themenwechsel einzulassen. »Mattis schwimmt lieber im Weiher. Deshalb … Ach, ich weiß noch nicht.«
Weiher mit Mattis, setze ich im Stillen hinzu, ist nämlich tausendmal schöner als Freibad ohne Mattis. Darauf, das fünfte Rad am Wagen zu sein wie beim letzten Mal, als ich mit Lena und Leon im Freibad war, kann ich gut verzichten.
Lena schweigt für ein paar Sekunden.
Dann sagt sie: »Schade. Na ja, deine Entscheidung. Wenn du Mattis mir vorziehst – bitte.«
Erstaunt ziehe ich die Augenbrauen hoch. Fühlt sie sich etwa abgewiesen? Aber warum? Schließlich hat sie mich nicht gefragt, ob wir allein ins Freibad gehen wollen, sondern mit den Jungs! Ich schlucke den türkisen Missmut runter, der in mir aufsteigt. Ich will nicht schon wieder mit Lena streiten.
Versöhnlich sage ich zu ihr: »Nächsten Freitag ist Disco im Jugendhaus. Da könnten wir doch zusammen hingehen, oder? Nur du und ich.«
»Ach. Steht Mattis nicht auf laute Mucke?«, versetzt sie schnippisch. »Fragst du deshalb mich?«
Das Türkis wird stärker. Dennoch lächele ich. »Stimmt schon, Disco ist nicht so sein Ding. Aber das ist nicht der Grund, weshalb ich mit dir allein da hin will. Mensch, Lena, du bist meine beste Freundin! Unsere Kerle müssen nicht überall dabei sein, oder?«
Da endlich grinst auch sie, ein echtes, sonniges Lena-Lächeln, und ich atme auf. Sie wirft ihre blonden Locken zurück, und einer der Jungs am Nebentisch pfeift. Doch sie beachtet ihn gar nicht.
»Nur du und ich«, sagt sie feierlich zu mir.
Und mein Türkis macht sich endgültig vom Acker.
Als ich heimkomme, bin ich immer noch beschwingt. Doch sowie ich durch die Tür trete, spüre ich es: Irgendetwas ist anders als sonst.
Niemand antwortet mir auf mein »Hallo, ich bin wieder da!«.
Niemand steht in der Küche, um das Abendessen vorzubereiten.
Niemand hat den Fernseher angeschaltet, um im Hintergrund »heute« laufen zu lassen, während er gleichzeitig die Süddeutsche Zeitung überfliegt.
Alles ist still – bis auf ein leises, verzweifeltes Weinen und ein tröstendes Gemurmel.
Langsam gehe ich ins Wohnzimmer. Sehe Mama und Papa, die eng beieinander am Esstisch sitzen. Papas Hand streicht beruhigend über Mamas Rücken, der unter ihren Schluchzern zuckt. Scheiße, ich habe meine Mutter noch nie weinen gesehen. Was ist hier los?
Zaudernd bleibe ich stehen, überlege, ob ich mich besser gleich wieder rausschleiche. Mich in mein
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