Der Geschmack von Sommerregen (German Edition)
mitten auf den Mund.
Ich habe keine Ahnung, was ich in diesem Augenblick fühle.
Blau und Gold prallen auf spitzes Dunkelgrün, auf schmutzige Schlieren und Beige. Leiser Triumph wagt sich ans Licht, sofort überblendet von grellen Warnlichtern. Es ist zu viel, zu viele Farben, zu viele Emotionen, und ich schaffe es nicht, das Knäuel zu sortieren, während Mattis mich küsst und alle anderen glotzen.
Schließlich lässt er mich los und lächelt, unbeschwert, sexy. Im Gegensatz zu mir, schießt es mir durch den Kopf, scheint er das Ignorieren aufdringlicher Blicke ziemlich perfektioniert zu haben. Zumindest wenn keine Pappelwiese in der Nähe ist, auf die er flüchten kann.
»Ich hab dich vermisst gestern«, sagt er und streicht mir eine Strähne hinters Ohr. »War ziemlich öde bei meiner Großtante.«
Ich schaue in seine dunklen Augen und würde mich am liebsten in sie hineinstürzen. Abtauchen, weg von hier sein und gleichzeitig für immer mit Mattis verbunden.
»Mein Sonntag war auch nicht so toll«, sage ich stattdessen, atme tief durch und weise auf die Schultür. »Wollen wir? Es wird gleich läuten.«
Zu dritt machen wir uns auf den Weg, schlängeln uns durch wuselige Fünftklässler mit quietschbunten Turnbeuteln, kichernde Dreizehnjährige und müde Abiturienten, die mit ihren Augenringen und den Energy-Drinks in den Händen aussehen, als seien sie gerade erst vom Feiern gekommen. Was wahrscheinlich auch der Fall ist. Wir passieren Mattis’ Fans, die jetzt meine Feinde sind, und halten auch nicht an, als Vivian schrill in die Runde wirft: »Moment mal, das ist doch ein Witz, oder? Mattis Bending mit Miss Augenbraue?! Alter, das kann der doch nicht ernst meinen!«
Ich schlucke, schaue stur nach vorn. Halte mich an Mattis’ Fingern fest, die sich mit meinen verschränken, und an Lenas gezischtem »Blöd bleibt blöd. Achte nicht auf die, Sophie!«.
Trotzdem schäme ich mich in Grund und Boden. Weil Mattis gehört hat, was Vivian gesagt hat, und weil er spätestens jetzt begreifen wird, dass wir im Universum der Beliebtheit auf völlig unterschiedlichen Planeten wohnen.
Was, wenn er anfängt, mich mit ihren Augen zu sehen?
Doch Mattis drückt mir einen demonstrativen Kuss auf die Schläfe und sagt gelassen: »Die werden schon sehen, wie ernst ich es meine.«
Und gleich fühle ich mich ein bisschen besser. Hey, ich habe Mattis und Lena! Sie werden mir beistehen, egal welche Strafe mich erwartet. Fast schon glaube ich es und möchte erleichtert lächeln.
Nur dass tief in mir etwas anfängt zu wispern.
Eine zäh-graue, furchtsame Ahnung.
Die Ahnung, dass ich da ganz allein durch muss.
Neunzehn
Ich stehe unter Beobachtung.
Genau wie Mattis.
Aber während die Blicke, die ihm gelten, nach wie vor neugierig, bewundernd und sehnsüchtig sind, schauen Viv, Börny & Co. mich eindeutig lauernd an. Brütend. Aggressiv. So, als ob sie darüber nachdächten, wie sie mich am nachhaltigsten und härtesten treffen könnten. Schmale Augen folgen mir überallhin, durch die Klasse, über den Schulhof, auf den Sportplatz. Wo ich mit Mattis bin, verweilen die Blicke mit eisigem Zorn. Wo ich allein bin, gesellt sich zum Zorn Verachtung.
Scheiße, ich kriege es langsam echt mit der Angst zu tun.
»Ach, komm, was sollen sie dir denn tun?«, versucht Lena mich zu beruhigen. »Mach dir nicht in die Hosen, Sophie. Wir sind keine Kinder mehr, sie werden dich schon nicht auf dem Schulweg verhauen.«
Es ist Freitagnachmittag, Mattis ist beim Bogenschießen, Leon muss für eine Englischarbeit lernen, und so sitzen Lena und ich – wie in alten Zeiten – zusammen im Café Lamm. Genießen kann ich unseren Mädelsnachmittag allerdings nicht. Ich starre auf meinen Cappuccino, rühre zittrig darin herum. Ich habe jetzt fünf Tage Spießrutenlauf hinter mir und wäre mit den Nerven am Ende – wenn ich nicht wüsste, dass ich mir solche Empfindlichkeiten gar nicht leisten kann. Weil es gerade erst angefangen hat.
Ich werde meine Nerven noch brauchen, verdammt.
»Vielleicht verhauen sie mich nicht auf dem Schulweg«, sage ich. »Aber es fallen ihnen ganz bestimmt viele andere schöne Dinge ein.«
»Was meint Mattis denn dazu?«, fragt Lena.
Ich trinke einen Schluck von dem Cappuccino, den ich mittlerweile vor lauter Sorgen kaltgerührt habe, und verziehe das Gesicht.
»Er glaubt, die beruhigen sich von selbst wieder. Er nimmt sie alle nicht ernst. Einfach abwarten, bis die erste Aufregung sich gelegt hat, sagt
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