Der Geschmack von Sommerregen (German Edition)
Weg runterlaufen, der zur Hauptstraße führt. Und mit Mattis ist eigentlich auch alles gut. Von meinen Ängsten und Verrücktheiten ahnt er schließlich noch nichts. Vielleicht sollte ich mir einfach nicht so viele Sorgen machen. Ich sollte alles so kommen lassen, wie es kommt, und gelassen abwarten. Eine andere Lösung fällt mir ja sowieso nicht ein.
Also versuche ich, das schmutzige Kaugummigrau auf meinem inneren Monitor zu ignorieren und meine gesamte Aufmerksamkeit auf Lena zu richten. Ich streiche die feuchten Handflächen an meinen Jeans ab.
»Jetzt, wo du nicht mehr sauer bist, könntest du mir ein bisschen was von eurem Urlaub erzählen«, schlage ich in unbeschwertem Tonfall vor. »Dass du dich verlobt hast, weiß ich ja schon. Aber wie war es sonst?«
»Verlobt!« Sie boxt mit der Faust gegen meine Schulter. »Ganz schön frech bist du geworden. Ist das Mattis’ Einfluss, hm?«
Wir grinsen uns an, die Sonne bricht durch den Morgendunst, und ich fühle mich schon viel besser. »Na los!«, fordere ich Lena auf. Und dann lausche ich bereitwillig ihren Geschichten.
Von kreischendem Geplansche im fünfzehn Grad kalten Chiemsee, von Schnitzeljagden und nervigen Kids. Von Gitarrenklängen am flackernden Lagerfeuer. Von langen, verträumten Gesprächen mit Leon unterm Sternenhimmel. Von Nächten im Zelt, die zu meiner heimlichen Zufriedenheit wohl auch nicht viel keuscher waren als meine blauen Stunden mit Mattis und in denen Lena ihre Drei-Monats-Regel mehr als einmal fast gebrochen hätte. Meine eigenen Probleme sind vergessen, ich plaudere und höre ihr zu und lache, und alles ist fast so wie früher.
Bis wir die Schule erreichen, wo Mattis neben der großen Eingangstür lehnt.
Und alles noch viel schlimmer ist, als ich es befürchtet hatte.
Denn Mattis ist nicht allein, sondern umringt von all denen, die ich jetzt lieber nicht sehen würde: Oberzicke Nr. eins, die so wenig anhat, als wolle sie testen, ab welchem Grad an Nacktheit die Lehrer einen unverzüglich wieder heimschicken. Oberzicke Nr. zwei, deren Elba-Sonnenbräune sich leider sehr vorteilhaft gegen ihr langes Goldhaar abhebt. Walli, die zu laut lacht und dramatisch ihre roten Locken zurückwirft. Klara und Jasmin, die etwas zurückhaltender sind, Mattis aber dafür so verzückt anblicken, dass ich am liebsten auf der Stelle knurrend meine Besitzansprüche anmelden würde. Auch ein paar Jungs stehen dabei: Klassenstreber Fabian, der wohl froh ist, dass endlich mal jemand nett zu ihm ist. Alex, mein ewiger Verehrer.
Und Noah.
Gerade sagt er etwas, seine blauen Augen blitzen, und die ganze Gruppe bricht in Gelächter aus. Mattis lacht auch.
Ich fühle einen schmerzenden, senfgelben Stich, bevor ich mich barsch zurechtweise. Warum sollte mein Freund nicht über Noahs Witze lachen? Er hat schließlich keine Ahnung, dass Noah und ich mal zusammen waren. Er weiß nicht, was damals gelaufen ist, wie sehr Mr Charming mich gedemütigt hat. Für Mattis ist Noah lediglich ein Junge, der sich um seine Freundschaft bemüht, und der dabei sympathisch und unterhaltsam ist. Vielleicht, schießt es mir durch den Kopf, hätte ich Mattis von Noah und mir erzählen sollen, als wir unser »Jungfrau-oder-nicht«-Gespräch hatten. Vielleicht würde er dann jetzt woanders stehen als neben ihm.
Lena sagt: »Da ist er ja, dein Süßer. Wie immer mitten im Geschehen.«
»Dabei mag er das überhaupt nicht«, sage ich und fühle mich wie ein trotziges Kleinkind. »Er erträgt es nur, weil er höflich ist.«
In diesem Moment wendet Mattis sich uns zu und entdeckt mich.
Ein breites Lächeln erhellt sein Gesicht. Er streicht sich das dunkle Haar aus der Stirn, und mein Hals wird ganz trocken. Mattis sieht so gut aus, dass ich hier, in meiner normalen, gewohnten Umgebung, gar nicht mehr glauben kann, dass er wirklich der meine ist.
Er sagt etwas zu den anderen, dann löst er sich aus der Gruppe, die ihm in plötzlichem, neugierigem Schweigen nachstarrt. Lässig schlendert er auf mich zu, die Hände in die Hosentaschen gesteckt, doch sein strahlender Gesichtsausdruck straft seine Coolness Lügen und beschert mir trotz meiner Furcht ein flauschiges, glückliches Weinrot.
»Hey, Lena«, sagt Mattis, bevor er sich mir zuwendet und seine Stimme leiser, zärtlicher wird. »Hallo. Ich warte schon seit einer Ewigkeit auf dich.« Er legt seine große, warme Hand in meinen Nacken und zieht mich zu sich heran.
Und dann küsst er mich vor der gesamten, fassungslosen Meute
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