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Der Geschmack von Sommerregen (German Edition)

Der Geschmack von Sommerregen (German Edition)

Titel: Der Geschmack von Sommerregen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Leuze
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Klavierlehrerin, obwohl wir doch vom gleichen Blut sind. Aber vielleicht wusste sie bis gerade eben nicht einmal, dass es mich, ihre Enkelin, überhaupt gibt! Mama hat keinen der Briefe, die ich in der Kiste gefunden habe, geöffnet. Also muss ich davon ausgehen, dass sie ihrer Mutter auch niemals zurückgeschrieben hat.
    »Sophie Kirschner«, wiederholt meine fremde Großmutter und hebt langsam die Hand, als wolle sie meine Wange berühren, sich vergewissern, dass ich nicht nur ein Traum bin. Doch dann lässt sie die Hand wieder sinken. Wir sind uns noch zu fremd.
    Sie blinzelt und sagt mit einem kleinen Lächeln: »Weißt du was, Sophie, lass uns hoch in meine Wohnung gehen. Dieses grässliche Treppenhaus ist nicht der richtige Ort für ein Kennenlernen zwischen Oma und Enkelin, hm?«
    Ich lächele zurück. »Da haben Sie recht.«
    »Siezt man seine Großmutter?« Anne legt den Kopf schief. »Ich glaube nicht. Nenn mich doch Anne. Grundgütiger, was für eine seltsame Situation!«
    Wir müssen beide lachen, aus Verlegenheit und Aufregung, ich schaue in ihre blauen, faltenumkränzten Augen, und in diesem Moment bricht das Eis. Zartgrüne Erleichterung durchflutet mich, als ich denke, dass es richtig war, zu ihr nach München zu kommen. Anne Meindl gehört zu meiner Familie, zu meiner Geschichte, zu mir. Sie war viel zu lange ein Phantom, mit dem meine Eltern mir Angst gemacht haben.
    Jetzt ist sie endlich ein Mensch.

Neunundzwanzig
    Ich folge Anne vorbei an blätterndem Putz und fremdartigen Gerüchen bis zu ihrer kleinen Wohnung im vierten Stock.
    »Willkommen, liebe Sophie«, sagt sie, als ich hinter ihr durch die Tür trete. Sie schüttelt leicht den Kopf. »Ich hätte nicht zu hoffen gewagt, dass ich das einmal sagen darf.«
    »Wusstest du denn, dass du eine Enkelin hast?«, frage ich unverblümt. Je schneller ich Antworten bekomme, desto besser.
    »Ja.« Plötzlich sieht Anne verlegen aus. »Ich habe immer versucht zu verfolgen, wie Bärbels Leben verläuft. Wenn auch nur aus der Ferne. Aber jetzt lass uns ins Wohnzimmer gehen. Sicher hast du Durst.«
    Vom Flur ins Wohnzimmer sind es wenige Schritte, die Wohnung ist winzig. Aber hübsch, muss ich zugeben, als ich mich umsehe. Wenn dieses Mietshaus eine Wüste ist, dann ist Annes Wohnung die Oase. Sie hat die Wände in einem freundlichen Hellgelb gestrichen, und ihre Möbel sind alt, allerdings nicht spießig. Platzdeckchen, Porzellan-Nippes oder sonstigen Kitsch kann ich nirgendwo entdecken, dafür hängen überall Gemälde. Keine röhrenden Hirsche, auch keine Landschaftsaquarelle, sondern wilde Kompositionen aus Ölfarben, die in dicken Schichten neben-, übereinander aufgetragen wurden, ohne erkennbares Muster. Die Bilder sind schön, auf eine ursprüngliche, instinktive Art, und sie bringen tief in mir etwas zum Klingen.
    »Hast du die gemalt?«, frage ich mit belegter Stimme.
    »Ja«, sagt Anne nur.
    Sie geht in die Küche. Durch die offene Tür beobachte ich, wie sie Mineralwasser, Apfelsaft und zwei Gläser auf ein Tablett stellt, Kekse öffnet, sie in eine Keramikschüssel umfüllt. Ich lecke mir angespannt über die Lippen, suche in meinem Inneren nach dem rosa überhauchten Weiß von vorhin. Finde es, greife danach und halte es ganz fest, als ich zum Rücken meiner geschäftig hantierenden Oma sage: »Es sind deine inneren Farben, die du auf diesen Gemälden abbildest, stimmt’s?«
    Verdammt, ich habe mich weit vorgewagt. Wir kennen uns kaum, ich habe keine Ahnung, ob meine Vermutung stimmt. Vielleicht besitzt Anne genauso wenig einen inneren Monitor, wie sie eine furchterregende Irre ist. Alles, was ich über sie weiß, habe ich von meinen Eltern. Aber was ist Legende und was ist wahr?
    Wenn ich erwartet habe, dass Anne bei meiner Frage erstarrt, dann habe ich mich getäuscht. Zwar hält sie für zwei, drei Sekunden inne, doch dann dreht sie sich zu mir um, kommt mit dem Tablett in den Händen auf mich zu und sagt ruhig: »Bevor ich deine Frage beantworte, würde ich gern wissen, ob du das mit den inneren Farben im Internet recherchiert hast oder von selbst darauf gekommen bist.«
    So viel dazu, dass meine Oma nicht weiß, was das Internet ist.
    Ich suche nach einer Antwort, möchte nicht zugeben, dass ich bei meiner Google-Suche heute Vormittag kläglich versagt und nichts, überhaupt nichts über Anne herausgefunden habe. Gleichzeitig schießen mir tausend Fragen durch den Kopf. Ohne zu überlegen, lasse ich die erstbeste raus.
    »Von selbst.

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