Der geschmuggelte Henry
bedeutete für immer, und gegen derartige Zwischenfälle des modernen Lebens war man nun einmal gefeit. Mit einem Seufzer schickten sich die meisten darein, sich wieder zum Arbeitsvermittlungsbüro zu begeben und eine längere Zeit der Versuche und Irrtümer durchzumachen, bis sie wieder solche Juwele wie Mrs. Harris und Mrs. Butterfield finden würden.
4
Später beteuerte Mrs. Harris stets, ihr wäre nie der Gedanke gekommen, den kleinen Henry den abscheulichen Gussets zu rauben, ihn auf der «Ville de Paris» zu verstecken und ihn leibhaftig seinem Vater in Amerika zu bringen, hätte sich nicht bei der Gräfin Wyszcynska, deren kleine Londoner Wohnung Mrs. Harris täglich von fünf bis sieben Uhr auf Hochglanz brachte, zufällig jene erstaunliche Episode ereignet. Es war dieselbe Gräfin, mit der sie die Auseinandersetzung wegen des alten Staubsaugers gehabt und die, entgegen der düsteren Prognose von Mrs. Butterfield, sich eines Besseren besonnen und einen neuen Hoover angeschafft hatte.
Als sie in der Wohnung der Gräfin war, kam ein Paket für die vornehme Dame von ihrem achtzehnjährigen Neffen aus Milwaukee, Wisconsin, an. Der Inhalt des Pakets erwies sich als das Geschmackloseste, was der Gräfin je vor Augen gekommen war — ein scheußlicher Bierkrug mit einem Deckel aus imitiertem Silber und einem eingravierten «Souvenir of Milwaukee». Unglücklicherweise war dieser widerwärtige «Kunstgegenstand» so sorgfältig mit Zeitungen ausgestopft und umwickelt, daß er heil ankam.
Mit einem Ausdruck des Ekels in ihrem aristokratischen Gesicht sagte die Gräfin: «Ach, du lieber Gott.» Aber als sie dann merkte, wie interessiert Mrs. Harris allem zusah, verbesserte sie sich schnell und fügte hinzu: «Ist er nicht reizend? Wenn ich nur wüßte, wo ich ihn hinstellen soll. Es steht schon zu viel in dieser kleinen Wohnung herum. Würden Sie ihn sich vielleicht gern mitnehmen, Mrs. Harris?»
Mrs. Harris erwiderte: «Und ob! ! Vielleicht fahre ich dorthin, wenn ich in Amerika bin.»
«Nur weg damit — ich meine, ich freue mich, wenn Sie Spaß daran haben. Und werfen Sie auch gleich all das Zeug fort», sagte sie und deutete auf die Zeitungen, die dem Krug das Leben gerettet hatten. Darauf ging sie aus und fragte sich, was heutzutage mit den Putzfrauen los sei, die dauernd zu verreisen schienen.
Allein gelassen, gab sich Mrs. Harris ihrem Lieblingszeitvertreib, dem Zeitungslesen, hin. Wenn sie zum Fischhändler ging, war es eine ihrer größten Freuden, die zwei Jahre alten «Mirrors» zu lesen, die auf der Theke lagen und als Einwickelpapier benutzt wurden.
Jetzt nahm sie ein Exemplar der «Milwaukee Sentinel» genannten Zeitung in die Hand, überflog die Überschrift «Dominie verführte Schulmädchen in Heuschober», ergötzte sich an der damit verbundenen Geschichte und durchblätterte darauf die weiteren Seiten des gleichen Blattes, bis sie zu den Verlobungs- und Vermählungsanzeigen kam.
Da sie sich stets für Hochzeiten interessierte, gab sich Mrs. Harris diesen Anzeigen mit ungeteilter Aufmerksamkeit hin, bis sie eine entdeckte, bei deren Lesen ihr fast die Augen aus dem Kopf sprangen und sie einen Schrei ausstieß: «Lieber Gott — das ist er! Es ist geschehen. Ich hab es schon in meinen Knochen gespürt, daß etwas geschehen würde.»
Sie betrachtete das Foto eines hübschen Brautpaars mit der Überschrift: «Brown-Tracey-Trauung», und darunter stand: «Sheboygan, Wisconsin, den 23. Januar: Die Trauung von Miss Georgina Tracey, Tochter von Mr. und Mrs. Frank Tracey, Highland Avenue 1327, mit Mr. George Brown, einzigem Sohn von Mr. und Mrs. Henry Brown, Madison, Wisconsin, Delaware Road 892, fand heute in der Ersten Methodistenkirche in der Maple Street statt. Es ist die erste Ehe der Braut und die zweite des Bräutigams.
Die Braut ist eine der beliebtesten Absolventinnen der Eastlake Highschool gewesen und hat sich am gesellschaftlichen Leben rege beteiligt. Der vierunddreißigjährige Bräutigam, von Beruf Elektroingenieur, war früher bei der amerikanischen Luftwaffe in England. Das Paar wird nach Kenosha, Wisconsin, ziehen.»
Die Zeitung mit ihren dünnen, von Adern durchzogenen Händen fest umklammernd, vollführte Mrs. Harris einen kleinen Solotanz in der Wohnung der Gräfin, wobei sie rief: «Das ist er! Das ist er! Ich habe den Vater des kleinen Henry entdeckt!» Ihr kam nicht der geringste Zweifel. Er war hübsch; er hatte wie Henry zwei Augen, eine Nase,
Weitere Kostenlose Bücher