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Der geschmuggelte Henry

Der geschmuggelte Henry

Titel: Der geschmuggelte Henry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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las, senkte und zu ihrer besseren Hälfte sagte: «Henry ist seit heute morgen verschwunden. Wahrscheinlich ist er ausgerissen.»
    «Verschwunden», erwiderte Mr. Gusset. «Das ist gut.» Dann riß er ihr die Zeitung aus den Händen, befahl: «Jetzt mal aufgestanden, alte Dame», setzte sich selber in den frei gewordenen Schaukelstuhl und vertiefte sich in die in der Zeitung stehenden ersten Rennergebnisse.

8

    «Ach, Lieber», sagte Henrietta Schreiber plötzlich, «ob ich wohl recht daran getan habe?» Sie saß vor dem Spiegel in ihrer Kabine und war dabei, sich das Gesicht zu schminken. Neben ihr lag eine Einladungskarte, auf der stand, daß Pierre René Dubois, Kapitän der «Ville de Paris», sich die Ehre gebe, Mr. und Mrs. Joel Schreiber zu einem Cocktail um sieben Uhr dreißig an diesem Abend in seine Kabine einzuladen. Auf der Schiffsuhr war es bereits sieben Uhr fünfunddreißig.
    «Wieso?» sagte ihr Mann, der sich einen schwarzen Schlips tun-gebunden hatte und schon seit zehn Minuten fertig war.
    «Du siehst wunderbar aus, Momma, wirklich, du hast nie besser ausgesehen. Aber ich finde, wir sollten jetzt gehen. Der französische Botschafter wird auch dort sein, wie der Steward gesagt hat.»
    «Nein, nein», sagte Henrietta, «das meine ich nicht. Ich meine hinsichtlich Mrs. Harris.»
    «Was ist mit Mrs. Harris? Ist etwas passiert?»
    «Nein. Ich frage mich nur, ob es richtig war, daß wir sie und Mrs. Butterfield aus ihrem gewohnten Leben herausgerissen haben. Sie sind so sehr mit London verwachsen, weißt du. In Europa haben die Menschen für Putzfrauen und ihre Art Verständnis, aber...»
    «Du meinst, man wird uns auslachen, weil wir zwei waschechte Londonerinnen mitbringen?»
    «O nein. Niemand wird über Mrs. Harris lachen.» Sie beschäftigte sich von neuem mit ihren Augenbrauen. «Ich möchte nur nicht, daß sie sich ängstigt. Mit wem kann sie sprechen? Mit wem sich befreunden? Du weißt ja, was für Snobs die Amerikaner sind.»
    Das Warten hatte Mr. Schreiber etwas ungeduldig gemacht. «Das hättest du dir vorher überlegen sollen», sagte er. «Sie kann doch mit Mrs. Butterfield sprechen.»
    Mrs. Schreibers Mundwinkel zogen sich nach unten. «Sei mir nicht böse, Joel. Ich bin so stolz, daß du jetzt Präsident bist, und ich möchte alles tun, daß du es in New York angenehm hast — und sie ist eine so wunderbare Hilfe. Vielleicht sitzt sie jetzt da und weint sich die Augen aus und fühlt sich unter all den Fremden todunglücklich.»
    Mr. Schreiber trat zu seiner Frau heran und gab ihr einen liebevollen Klaps auf die Schulter. «Nun, jetzt ist es zu spät», sagte er, «aber morgen werde ich vielleicht einmal in die Touristenklasse gehen und nach ihr sehen. Aber wie wäre es, wenn wir jetzt gingen, Baby? Wenn du dich auch noch eine Stunde schminktest, würdest du nicht schöner aussehen als jetzt. Du wirst die bestaussehende Frau dort sein.»
    Henrietta schmiegte ihre Wange einen Augenblick an seine Hand und sagte: «Ach, Joel, du bist so gut zu mir. Verzeih, daß ich mir immer soviel Sorgen mache.»
    Sie verließen ihre Kabine, vor der ihr Steward wartete. Er geleitete sie bis zu der Privattreppe, über die man die Räume des Kapitäns erreichte. Sie stiegen sie hinauf, wurden oben von einem anderen Steward empfangen, der sie nach ihrem Namen fragte und sie dann zu der Tür der riesigen Kabine führte, aus der lautes Stimmengewirr und Gläserklirren herausklangen, ein Zeichen, daß die Cocktailparty schon in vollem Gang war. Im Wogen dieses Lärms drang plötzlich ein seltsamer Satz an Mrs. Schreibers Ohr: «Lieber Gott, ja. Der Marquis und ich sind alte Freunde aus Paris.»
    Es war einfach unmöglich, weil es nicht sein konnte, und Mrs. Schreiber sagte zu sich selbst:
    Der Steward ging hinein und meldete: «Mr. und Mrs. Joel Schreiber», worauf die Unterhaltung verstummte und alle Männer sich erhoben.
    Wenn man so spät zu einer Cocktailparty kommt, dreht sich einem alles vor den Augen. Man sieht alle, und man sieht keinen. Einen schrecklichen Moment lang schien Mrs. Schreiber etwas zu erblicken, das noch unmöglicher war als das, was sie eben gehört hatte. Es war Mrs. Harris, die zwischen dem Kapitän und einem vornehm aussehenden Franzosen mit weißem Haar und Schnurrbart stand — Mrs. Harris in einem sehr eleganten Kleid.
    Der Kapitän, ein hübscher Mann in Galauniform mit goldenen Tressen, sagte: «Ah, Mr.

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