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Der geschmuggelte Henry

Der geschmuggelte Henry

Titel: Der geschmuggelte Henry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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Bayswater beurteilte eine Stellung nicht nach dem Arbeitgeber, für den er tätig war, sondern nach der Art und Qualität des seiner Obhut anvertrauten Rolls-Royce. Wenn die Ernennung des Marquis der Gipfel von dessen Karriere war, so war die neue Stellung der von Mr. Bayswaters Karriere, da die Rolls-Royce-Gesellschaft ihn aufgefordert hatte, in die Fabrik zu kommen und selber Chassis und Motor auszusuchen. Daß der Marquis sich außerdem als ein angenehmer, verständnisvoller Arbeitgeber erwies, war noch das Tüpfelchen auf dem i. Aber es gab noch einen anderen Grund, warum Mr. Bayswater die Führung in dieser kleinen Gruppe übernehmen und halten konnte: Er war nämlich als einziger von ihnen schon einmal in Amerika gewesen. Er hatte die Überfahrt sogar schon zweimal gemacht — einmal mit einem 47 Silver Wraith, den er sehr geliebt hatte, und dann mit einem 53 Silver Cloud, von dem er nicht ganz so begeistert war, aber von dem er wußte, daß er ihn brauchte, und vor allem in dem fremden Lande.
    Und gerade Mr. Bayswaters genaue Kenntnisse der Zeremonie, die dem Betreten der freien und demokratischen Vereinigten Staaten vorausging, jagte Mrs. Harris einen riesigen Schrecken ein und machte ihr bewußt, in was für einer Falle der kleine Henry, Mrs. Butterfield und sie selber durch ihre Schuld saßen.
    Das Gespräch kam darauf, als Mrs. Butterfield, wie schon gesagt, nicht auf Deck war und das Ehepaar aus Wolverhampton, Mr. und Mrs. Tidder, sich über das Entsetzliche verbreiteten, das sie von amerikanischen Beamten hatten erdulden müssen, bevor man ihnen ein Besuchervisum für einen Aufenthalt in Amerika ausstellte. Mrs. Harris hörte mitfühlend zu, denn sie hatte die gleiche Prozedur über sich ergehen lassen müssen: Referenzen, Fingerabdrücke, Namen von Bürgen, finanzielle Lage, das Ausfüllen endloser Formulare und fast ebenso endlose Verhöre.
    «Lieber Gott», sagte Mrs. Tidder, deren Mann pensionierter Beamter war, «man hätte glauben können, wir führen hinüber, um ein Stück des Landes zu rauben.» Dann seufzte sie: «Nun, aber man darf sich wohl nicht beklagen, denn sie haben uns unsere Visa gegeben, und es ist jetzt vorüber.»
    Mr. Bayswater legte einen Monatsbericht der Rolls-Royce-Gesellschaft, den er studiert hatte, während er mit halbem Ohr dem Gespräch zuhörte, hin und brummte: «Ho, ho! Glauben Sie das wirklich? Warten Sie erst einmal, bis Sie den amerikanischen Einwanderungsbeamten gegenüberstehen. Die werden Sie erst durch den Wolf drehen! Ich werde nie vergessen, wie ich das erstemal hinüberkam. Es war nach dem Krieg. Sie haben mich zum Schwitzen gebracht. Haben Sie schon einmal von Ellis Island gehört? Das ist eine Art Gefängnis, wo sie Sie einsperren können, wenn ihnen Ihr Gesicht nicht gefällt. Warten Sie nur ab, bis Sie vor diesen Burschen sitzen und mit ihnen plaudern müssen. Wenn in Ihrem Paß nur ein kleiner Fleck ist oder ein Komma nicht an der richtigen Stelle steht, dann sind Sie geliefert!»
    Mrs. Tidder stieß einen leisen Entsetzensschrei aus. «Ach, du hebe Zeit, ist das wirklich so?»
    In Mrs. Harris’ Magengrube bildete sich ein kleiner kalter Stein, den sie zu ignorieren versuchte. Sie sagte zu Mrs. Tidder: «Ach wo, das glaube ich nicht. Die Leute reden immer so viel. Es ist doch schließlich ein freies Land.»
    «Nicht, wenn Sie hineinwollen», bemerkte Mr. Bayswater. «Es ist die reinste spanische Inquisition. Darauf schnüffeln sie in Ihren Papieren. Der Himmel steh Ihnen bei, wenn darin etwas nicht stimmt. Dann können Sie auf der verdammten Insel hinter Gittern schmachten, bis jemand kommt und Sie herausholt.» Der Stein in Mrs. Harris’ Magengrube wurde etwas größer und kälter und ließ sich kaum noch ignorieren. Bemüht, ihre Frage harmlos klingen zu lassen, sagte sie: «Machen sie das mit Kindern auch so? Die Amerikaner, die ich in London kennengelernt habe, waren immer gut zu Kindern.»
    «Ha», brummte Mr. Bayswater wieder, «die Burschen nicht!» Und dann fügte er entgleisend, wie es bei ihm selten vorkam, hinzu: «Sie haben Kinder gefressen. Ein Baby auf dem Arm ist für sie wie eine Bombe. Wenn sie nicht den Namen in dem Paß und die Geburtsurkunde und die richtigen Papiere sehen, dann lassen sie es nicht durch. Wenn es

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