Der geschmuggelte Henry
ich ihr geschenkt habe.» Er konnte natürlich nicht ahnen, daß das Kleid, das Mrs. Harris trug, ihr vor mehreren Jahren von Mrs. Schreiber geschenkt worden war, nachdem sie es nicht mehr gebrauchen konnte, und daß sie es soeben wiedererkannt hatte.
9
Auf der Reise ging alles so glatt, daß Mrs. Harris sich in einer falschen Sicherheit wiegte. Obwohl sie Optimistin war, hatte das Leben sie gelehrt, daß oft, wenn alles wie am Schnürchen zu gehen scheint, schon an der nächsten Ecke Schwierigkeiten lauem. Aber das Leben auf dem großen Schiff war so wundervoll, das Essen, die Gesellschaft, die Unterhaltung so prächtig, daß selbst Mrs. Butterfield angefangen hatte, sich in dieser ambiance zu entspannen und zuzugeben, daß Tod und Vernichtung vielleicht nicht ganz so dicht bevorstanden, wie sie es sich ausgemalt hatte.
Drei Tage lang soviel Gutes essen zu können, wie er in sich hineinstopfen konnte, dazu Sonnenschein und die liebevolle Verwöhnung durch die beiden Frauen, hatte bei Henry bereits eine Veränderung bewirkt. Er war schon nicht mehr ‘so mager und sah nicht mehr so blaß aus.
Die «Ville de Paris» fuhr ohne die geringste Erschütterung über das spiegelglatte, ruhige Meer, und wie Mrs. Harris sich selbst sagte, war alles einfach prima — aber die Katastrophe war nur noch achtundvierzig Stunden entfernt, und als sie ihrer gewahr wurde, nahm sie so erschreckende Dimensionen an, daß sie nicht einmal Mrs. Butterfield ins Vertrauen zog, aus Angst, daß ihre Freundin in übergroßem Entsetzen vielleicht versucht sein könnte, über Bord zu springen.
Das alles kam durch eine Unterhaltung in dem Freundeskreis, mit dem sich Mrs. Harris umgeben hatte, und bei der zum Glück Mrs. Butterfield zufällig nicht anwesend war.
Wie es auf solchen Reisen gewöhnlich geschieht, wurde Mrs. Harris bald Mitglied eines britischen Klubs, der sich mitten auf dem Atlantischen Ozean an Bord dieses schwimmenden Hotels gebildet hatte. Er bestand aus einem älteren eleganten Chauffeur, zwei Mechanikern, die eine britische Firma nach Amerika schickte, wo sie in einer Munitionsfabrik ein neues Herstellungsverfahren studieren sollten, und einem Ehepaar aus Wolverhampton, das zum Besuch seiner Tochter hinüberfuhr, die einen Gl geheiratet hatte, und des Enkelkindes. Auch Mrs. Butterfield gehörte dazu. Sie saßen alle an dem gleichen Tisch, und bald standen auch ihre Deckstühle nebeneinander. Im Grunde sprachen sie alle die gleiche Sprache und mochten und verstanden einander.
Während Mrs. Harris die Seele dieses Klubs war, war der Chauffeur, Mr. John Bayswater aus Bayswater, dem, wie er selber sagte, feinsten Londoner Bezirk, das unbestrittene Haupt des Kreises, und alle sahen zu ihm auf. Erstens war er nicht nur ein Chauffeur mit langer Berufserfahrung — er fuhr schon fünfunddreißig Jahre—, ein kleiner grauhaariger Mann in den Sechzigern, dessen Anzüge gut geschnitten waren und einen tadellosen Geschmack verrieten, sondern ein Rolls-Royce-Chauffeur. Sein Leben lang hatte er nie einen anderen Wagen gefahren. Er hatte nicht einmal unter die Haube eines anderen geguckt. Andere Wagen existierten überhaupt nicht für ihn. Es gab nur ein Fabrikat, und das war Rolls-Royce. Er war Junggeselle und hatte statt Frauen oder Geliebten eine Reihe dieser Wagen besessen, und sie beanspruchten seine ganze Zeit und Aufmerksamkeit.
Aber nicht dies allein zeichnete ihn aus, sondern noch etwas anderes: Er fuhr jetzt nämlich nach Amerika als Chauffeur des Marquis Hipolyte de Chassagne, des neuernannten Botschafters Frankreichs in den Vereinigten Staaten.
Er war ein glücklicher und zufriedener Mann, dieser Mr. Bayswater, denn im Rumpf der «Ville de Paris» fuhr der neueste, feinste, modernste und funkelndste Rolls-Royce mit einer himmel- und rauchblau getönten Karosserie von Hooper mit, den er je gefahren hatte. Zur Feier der Krönung seiner diplomatischen Karriere durch seine Berufung als Botschafter in die Vereinigten Staaten hatte der Marquis, der in England erzogen war und seine Vorliebe für britische Autos immer beibehalten hatte, sich den erlesensten Rolls-Royce geleistet, den er sich mit seinem Privatvermögen kaufen konnte.
Als es darum ging, einen Chauffeur zu finden, hatten die Rolls-Royce-Leute für ihn John Bayswater engagieren können, der schon einmal den britischen Botschafter in der gleichen Funktion in die Vereinigten Staaten begleitet hatte, einen der angesehensten und zuverlässigsten Rolls-Royce-Fahrer.
Mr.
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