Der geschmuggelte Henry
Situation das tun konnte, was einem den meisten Spaß machte und niemand ernstlich wagen würde, etwas dagegen zu sagen. So kam er zu dem Schluß: Was war schon dabei, dieser braven Person zu helfen, und was konnte bei diesem einfachen Plan schief gehen?
«Nun gut», sagte er zu Mrs. Harris, «ich werde Ihnen Ihre Bitte erfüllen.»
Diesmal erging sich Mrs. Harris nicht in einem Feuerwerk überschwenglicher Dankbarkeit, sondern lächelte ihn, da der Sinn für Humor wieder in ihr erwachte, nur schelmisch an und sagte: «Ich wußte, daß Sie es tun würden. Es wird ein prächtiger Jux werden, was? Ich werde ihm Hände und Gesicht gut waschen und ihm genau einschärfen, was er tun muß. Sie können sich auf ihn verlassen. Er ist ein gescheites Bürschchen. Er sagt nicht viel, aber wenn er es tut, dann hat es Hand und Fuß.»
Auch der Marquis mußte lächeln. «Ach, Sie wußten es?» sagte er. «Nun, wir werden sehen, in was für Schwierigkeiten ich mich mit dieser sentimentalen Narretei bringe.» Dann fügte er hinzu: «Wir werden morgen um zehn Uhr landen. Um neun Uhr wird so etwas wie eine Deputation an Bord kommen, um mich zu begrüßen. Der französische Konsul vielleicht, und es wird darum wohl das beste sein, wenn der Junge zu der Zeit bereits hier ist, damit die anderen sich daran gewöhnen, ihn hier zu sehen. Ich werde dafür sorgen, daß Sie beide um halb acht morgens zu mir geführt werden, und ich werde meinen Sekretär und meinen Diener anweisen, diskret zu sein.»
Mrs. Harrris erhob sich und ging zur Tür. «Sie sind ein goldiger Mensch», sagte sie.
Der Marquis erwiderte: «Sie auch. Es wird ein prächtiger Jux werden, was?»
11
Jemand hätte den Marquis vor der amerikanischen Presse warnen sollen, die wußte, daß er seit de Gaulles Regierungsantritt der erste neue Botschafter in den Vereinigten Staaten war; jemand hätte ihn auch auf die Landungszeremonie aufmerksam machen und vorbereiten müssen, die für seine Ankunft vorgesehen war. Jenes aber hatte man vollständig vergessen und dieses infolge des Durcheinanders im State Departement — sicherlich hat der oder der den Botschafter in Kenntnis gesetzt — unterlassen. Jeder glaubte, der andere habe es getan, aber niemand hatte es getan.
Der Marquis selber hatte als ein innerlich bescheidener Mensch seine eigene Person nie für so wichtig gehalten, und er erwartete nichts anderes als eine offizielle Begrüßung und eine unbürokratische Handhabung der Paß- und Zollkontrolle, und daß gleich nach der Ankunft am Morgen Bayswater ihn, sobald sein Wagen ausgeladen war, nach Washington fahren würde.
So war er ganz unvorbereitet auf die sich drängende Herde von Reportern, Fotografen, Kameraleuten, Rundfunk- und Femsehinterviewern und Technikern, die von einem kleinen Schleppboot, das neben der «Ville de Paris» hielt, an Bord strömten, durch die Flure stapften, in seine Suite eindrangen und ihn baten, in das Pressezimmer auf dem Sonnendeck zu einer Pressekonferenz zu kommen.
Eine ebensolche Überraschung war der schmucke weiße Regierungskutter, der ebenfalls neben der «Ville de Paris» anlegte und dem die Abordnung der Stadt New York entstieg, um den Marquis willkommen zu heißen. All diese Männer trugen rotweißblaue Rosetten im Knopfloch. Außerdem kamen auch noch die Führer der beiden politischen Parteien New Yorks mit dem Stellvertreter des Bürgermeisters, die französischen Konsuln von New York und Washington, Mitglieder der französischen Botschaft, ein halbes Dutzend Beamte des State Departements, angeführt von einem Unterstaatssekretär, und schließlich jemand aus dem Weißen Haus, den Präsident Eisenhower als seinen persönlichen Vertreter entsandt hatte.
Den meisten von ihnen gelang es irgendwie, sich in die Suite zu drängen, während eine Musikkapelle auf dem Kutter die Marseillaise spielte, und ehe der kleine Henry in das Badezimmer flüchten konnte, wohin er sich auf Mrs. Harris’ Geheiß zurückziehen sollte, falls, bevor die eigentliche Ausschiffung begann, sich irgend etwas Unerwartetes ereignete.
Er war für diese Gelegenheit besonders sorgfältig gewaschen und gekämmt worden, hatte ein sauberes Hemd und saubere Shorts an, saß auf der Kante eines Stuhls, die Füße in neue Socken und Schuhe gezwängt, und sah aus wie ein hübscher kleiner Junge, der ganz in diese Umgebung paßte.
Noch ehe der Marquis oder der kleine Henry wußten, was geschah oder wie es geschah, wurden sie aus der Kabine über die große Treppe
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