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Der geschmuggelte Henry

Der geschmuggelte Henry

Titel: Der geschmuggelte Henry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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Harris», erwiderte Mr. Bayswater höflich. «Es würde mich freuen, wenn Ihnen meine Erfahrung etwas nützen könnte. Was möchten Sie wissen?»
    «Ich glaube, es ist vielleicht besser, wir gehen auf Deck, wo es still ist und uns niemand stört», sagte sie.
    Mr. Bayswater machte ein etwas erschrockenes Gesicht, folgte aber Mrs. Harris nach oben auf das Promenadendeck der «Ville de Paris», wo sie im Dunkel unter dem Sternenhimmel an der Reling standen, während das große Schiff eine phosphoreszierende Spur hinter sich her zog, und auf die See hinausblickten.
    Sie schwiegen einen Augenblick, dann sagte Mrs. Harris: «Zu dumm, jetzt habe ich Sie hierher geschleppt und weiß nicht, wie ich anfangen soll.»
    Mr. Bayswater, dem jetzt wirklich angst und bange wurde, blickte zu der kleinen Putzfrau hinunter und panzerte sich. Er hatte seinen Junggesellenstand gegen alle Angriffe in vierzig Jahren zu behaupten gewußt und dachte nicht daran, ihn jetzt preiszugeben. Aber alles, was er im Gesicht der Meinen grauhaarigen Frau, die dort neben ihm stand, sah, war Sorge und Kummer. «Ich bin in einer furchtbaren Lage, Mr. Bayswater», sagte sie.
    Der Chauffeur fühlte sich plötzlich erleichtert und ganz als der männliche Beschützer. Er genoß es sogar, daß er hier war und sie sich so flehend an ihn wandte. Es war ein ganz wunderbares Gefühl. «Nun, erzählen Sie mir alles, Mrs. Harris.»
    «Kennen Sie den Jungen, den kleinen Henry?» fragte sie.
    Mrs. Bayswater nickte und antwortete: «Hm, ein braves Kerlchen. Hält hübsch den Mund.»
    «Nun», stammelte Mrs. Harris, «er ist nicht meiner. Er ist niemandes Kind.» Und dann sprudelte die ganze Geschichte aus ihr heraus — die Familie Gusset, die netten Schreibers, das Rauben und Verstecken des kleinen Henry und der Plan, ihn seinem Vater zu bringen.
    Als sie geendet hatte, gab es ein Schweigen. Dann sagte Mr. Bayswater, wieder einmal entgleisend: «Verdammt, das ist eine sehr üble Geschichte.»
    «Sie sind doch schon in Amerika gewesen», sagte Mrs. Harris, «gibt es gar keine Möglichkeit, ihn zu verstecken und durch die Kontrolle zu bringen?»
    «Nicht bei diesen Burschen», erwiderte Mr. Bayswater. «Wenn Sie es täten, würden Sie alles nur noch verschlimmern. Es ist zehnmal schlimmer, wenn sie Sie bei dem Versuch fassen, ihnen zu entwischen. Aber wie ist es denn mit dem Vater? Könnten wir ihm nicht telegrafieren, er solle an den Pier kommen, dann könnte er doch für das Kind einstehen und seine Vaterrechte geltend machen.»
    Trotz ihres Kummers entging es Mrs. Harris nicht, daß Mr. Bayswater das Wort «wir» statt «Sie» gebraucht hatte, womit er ihr Dilemma zu seinem eigenen machte, und das gab ihr plötzlich neuen Mut. Aber gleich darauf verließ der Mut sie wieder, und sie jammerte: «Ach, ich weiß ja seine Adresse gar nicht. Ich glaube zwar zu wissen, wo er wohnt, doch ich muß ihn erst finden, verstehen Sie? Es ist alles furchtbar verzwickt.»
    Mr. Bayswater, der jetzt auch am Ende seines Lateins war, nickte und sagte: «Ja, das ist es.»
    Eine im Sternenlicht glitzernde Träne rollte über Mrs. Harris’ Wange. «Es ist alles meine Schuld», sagte sie. «Ich bin eine blöde, unbesonnene alte Frau. Ich hätte das nicht tun dürfen.»
    «Sagen Sie das nicht», entgegnete Mr. Bayswater. «Sie haben nur versucht, das Beste für das Kind zu tun.» Er versank für einen Augenblick in nachdenklichem Schweigen und sagte dann: «Hören Sie mal, Mrs. Harris, Sie kennen doch meinen Boss — den Marquis. Stimmt das, was ich gehört habe, daß er Sie zu einem Drink in die Kabine des Kapitäns eingeladen hat?»
    Mrs. Harris blickte den elegant aussehenden Chauffeur verwundert an und fragte sich, ob er sich vor ihr aufspielen wolle. «Gewiß», erwiderte sie. «Und warum nicht! Er ist ein alter Freund von mir aus Paris.»
    «Nun dann», sagte Mr. Bayswater, «wenn Sie ihn so gut kennen, warum fragen Sie dann nicht ihn.»
    «Ihn, den Marquis? Aber was würde das denn nützen? Er ist mein Freund. Ich möchte nicht, daß man ihn nach Ellers Island, oder wie das heißt, schickt.»
    «Aber verstehen Sie denn nicht», sagte Mr. Bayswater erregt. «Er ist der einzige, der Ihnen helfen könnte. Er ist Diplomat.»
    Die sonst so helle Mrs. Harris war einen Augenblick begriffsstutzig. «Was hat das damit zu tun?» sagte sie.
    «Es bedeutet, daß er mit einem Sonderpaß reist, daß den sich nie jemand ansieht, noch Fragen stellt. Prominente Persönlichkeit und roter Teppich.

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