Der geschmuggelte Henry
in das Pressezimmer entführt, in dem es von Inquisitoren wimmelte, und einer unheimlichen Batterie von Mikrophonen, Kameralinsen, Film-, Tonfilm- und Fernsehkameras gegenübergestellt und mit Fragen überschüttet, die wie Konfetti auf sie herniedergingen.
«Was halten Sie von den Russen?» — «Glauben Sie, daß es Krieg geben wird?» — «Was ist Ihre Meinung über die amerikanischen Frauen?» — «Wie denken Sie über de Gaulle?» — «Was wollen Sie hinsichtlich der Nato unternehmen?» — «Behalten Sie Ihre Pyjamahose an, wenn Sie schlafen?» — «Wollen die Franzosen eine neue Anleihe haben?» — «Wie alt sind Sie?» — «Sind Sie schon einmal Chruschtschow begegnet?» — «Ist Ihre Frau mitgekommen?» — «Wie steht es mit dem Krieg in Algerien?» — «Wofür haben Sie das Kreuz der Ehrenlegion bekommen?» — «Was halten Sie von den Wasserstoffbomben?» — «Stimmt es, daß die Franzosen bessere Liebhaber als die Amerikaner sind?» — «Kennen Sie Maurice Chevalier?» — «Stimmt es, daß die Kommunisten in Frankreich an Boden gewinnen?» — «Was halten Sie von Gigi?»
Unter all diesen Fragen, die männliche und weibliche Reporter ihm entgegenschleuderten, erklang noch eine andere: «Wer ist der Junge?»
Wenn eine Pressekonferenz so regelwidrig vor sich geht wie diese — weil die meisten der Presseleute sehr früh hatten aufstehen müssen, um bei stürmischer See die Bucht hinunter einem Dampfer entgegenzufahren, und viele von ihnen einen Kater hatten—, geschieht es manchmal, daß in dem Strudel der Fragen, die keiner verstehen oder beantworten kann, eine alle anderen übertönt und von den Reportern, die darauf bedacht sind, überhaupt eine Antwort zu bekommen, begierig aufgegriffen wird.
Und so hieß es mit einemmal: «Wer ist der Junge? Wer ist der Junge?» — «Ja, richtig, wer ist der Junge, Euer Exzellenz?» — «Wer ist der Junge, Herr Botschafter?» — Und dann verstummten alle und warteten auf die Antwort.
Der verehrungswürdige Staatsmann, der am Ende des Zimmers hinter dem Konferenztisch saß, wandte sich um und blickte zu dem seltsamen kleinen Jungen mit dem etwas zu großen Kopf und dem traurigen Gesicht hinunter, fast so, als erwarte er, daß Henry es erklären würde.
Auch der kleine Junge wandte sich um, blickte mit seinen feuchten, traurigen und wissenden Augen zu dem verehrungswürdigen Staatsmann auf und preßte die Lippen zusammen. Der Marquis, der das sah, erinnerte sich an das, was Mrs. Harris ihm über Henrys Abneigung gegen das Sprechen gesagt hatte, und er wußte, daß ihm von dort keine Hilfe kommen würde.
So wurde die Pause zwischen der Frage und der Antwort, die man von ihm erwartete, unerträglich lang, und er mußte unbedingt etwas sagen. Der Marquis räusperte sich. «Er... er ist mein Enkel», sagte er.
Aus einem unbekannten Grunde, aber wie es für manche Pressekonferenzen typisch ist, schien diese Erklärung eine Sensation zu bewirken.
«So etwas, er ist sein Enkel! Haben Sie das gehört? Er ist sein Enkel!» — «Was sagen Sie dazu, er ist sein Enkel!» — Notizbücher wurden herausgezogen und Notizen gekritzelt, während die Fotografen unter Kriegsgeschrei vorstürmten und ihre Blitzlichtlampen, die den Marquis blendeten und ihn noch mehr verwirrten, auf die Gesichter ihrer Opfer richteten. «Bleiben Sie so, Botschafter!» — «Sehen Sie hierher, Marquis!» — «Legen Sie Ihren Arm um den Jungen, Marquis!» — «He, Junge, geh etwas näher an deinen Großvater heran — noch näher!» — «Und jetzt lächle! So ist es schön! Noch einmal!» — «Leg deine Arme um seinen Hals, Kleiner!» — «Setz dich auf seinen Schoß, Bübchen!» — «Wie wär’s, wenn du ihm einen kräftigen Kuß gäbest?»
Und in diesem Getümmel ertönten weitere Fragen, die die Enthüllung, daß der französische Botschafter mit einem Mitglied seiner Familie herübergereist war, nach sich zog. «Wie heißt er?» — «Wessen Kind ist er?» — «Wohin fährt er?»
Der Marquis saß in der Falle. «Er heißt Henry.»
«Henry! Henry oder Henri? Ist er Franzose oder Engländer?»
Dem Marquis wurde klar, daß irgendwann der kleine Henry seinen Mund würde auf machen müssen, und so antwortete er: «Engländer.» Die Pressekonferenz war sozusagen in geordnete Bahnen gekommen, als ein Mann am anderen Ende des Raumes sich erhob und mit dem für den Korrespondenten der «Daily Mail» selbstverständlichen englischen Akzent fragte: «Ist er vielleicht Lord
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