Der geschmuggelte Henry
Fingernägel Trauerränder hatten. Ferner ein berühmter Komiker, der auch im wirklichen Leben komisch war, Tänzer, Boxer, schöne Schauspielerinnen in herrlichen Toiletten — kurz, es war ein wahres Paradies, selbst für Mrs. Butterfield, die den Glanz des Lebens der Theaterwelt durch die Berichte ihrer Freundin genoß.
Dennoch, trotz ihrer großzügigen und toleranten Einstellung zu den Leuten aus der wunderbaren Welt der Unterhaltungsindustrie, fand Mrs. Harris bald das Haar in der Suppe — nämlich den Hillbilly-Sänger, der sich selber so unausstehlich machte, daß es nicht lange dauerte, bis ihn jeder, der mit ihm in Berührung kam, eingeschlossen Mrs. Harris, verwünschte.
Vor seinem ersten Erscheinen auf einer der Dinnerparties hatte Mrs. Schreiber sie vor dem gewarnt, was sie erwartete, da die gutmütige Amerikanerin sicher war, daß Mrs. Harris einem solchen Burschen in London nicht begegnet war, und nicht wollte, daß sein Aussehen und Benehmen sie zu sehr erschreckte. «Mr. Claiborne ist eine Art von Genie», erklärte sie, «ich meine, er ist das Idol der Teenager und etwas außergewöhnlich, aber er ist für meinen Mann sehr wichtig, der einen Vertrag mit ihm abschließen will, und das wäre ein sensationeller Erfolg für ihn, denn alle sind hinter Kentucky Claiborne her.»
Der Name hatte bereits in Mrs. Harris nicht sehr angenehme Erinnerungen geweckt. Plötzlich war ihr wieder die Zeit eingefallen, als ihr Abenteuer gewissermaßen begonnen hatte. Es war an jenem Abend in ihrer kleinen Wohnung in London gewesen, als die Gussets nebenan das Katerjaulen eines amerikanischen Hillbilly-Sängers dieses Namens im Rundfunk dazu benutzt hatten, um den kleinen Henry ungestört prügeln zu können.
Aber auf die geheimnisvolle Art, in der Dienstboten nicht nur mit ihren Ohren erfahren, was um sie herum vorgeht, bekam Mrs. Harris heraus und teilte es Mrs. Butterfield mit, daß eben jener Kentucky Claiborne, der irgendwo aus dem Süden der Vereinigten Staaten stammte, einen meteorhaften Aufstieg als Hillbilly-Sänger genommen hatte, da seine Volksliederplatten bei den Teenagern plötzlich größten Anklang fanden und es dadurch zu einem wilden Wettrennen zwischen den Film- und Fernsehfirmen kam, um mit ihm einen Exklusiv-Vertrag zu schließen.
Mr. Schreiber, der sich in kurzer Zeit in einen wirklich glänzenden Filmboß verwandelt hatte, hatte sich vor dem Wettkampf nicht gefürchtet und lag weit vom im Rennen. Seine Anwälte und die Anwälte von Claibornes Agenten, einem Mr. Hyman, waren dabei, einen Vertrag auszuhandeln, nach dem der Sänger innerhalb von fünf Jahren die Summe von zehn Millionen Dollar erhalten sollte — eine solche Riesensumme, daß nicht nur Mrs. Harris, sondern die ganze Unterhaltungsindustrie darüber verblüfft war.
In der Zwischenzeit war es notwendig, Mr. Claiborne bei guter Laune zu halten, und das war nicht leicht, denn sogar Mrs. Harris merkte, daß, Berühmtheit hin, Berühmtheit her, Kentucky Claiborne eitel, hohl, selbstsüchtig und egozentrisch, grob, laut, beleidigend, langweilig und bäurisch war. «Was wollen Sie?» sagte Mr. Hyman zu Mr. Schreiber. «Er ist ein kleiner Pinscher aber ein kleiner Pinscher mit Talent. Die Jugendlichen sind verrückt nach ihm.»
Das stimmte, wie es auf so viele abstoßende Menschen, die sich ihren Weg bis zum Gipfel bahnen, zutrifft. Er war jetzt ein Mann von fünfunddreißig Jahren mit schon dünn werdendem Haar, tiefliegenden Augen und blauen Backen und war plötzlich aus dem tiefen Süden aufgetaucht, wo er seine hinterwäldlerischen Volkslieder in Kaschemmen und billigen Nachtklubs, von seiner Gitarre begleitet, gegrölt hatte, und war eine nationale Sensation geworden. Seine Augen, seine Stimme, sein Auftreten, sein Vortrag beschworen anscheinend die Einsamkeit und Melancholie der Holzfällerpioniere aus Amerikas Vergangenheit.
Obwohl man von seiner Herkunft nichts erfuhr, mußte er ein armer Junge gewesen sein — um nicht zu sagen, der Ärmste der Ärmsten, denn sein plötzlicher Ruhm, Reichtum und das Umschmeicheltwerden machten ihn noch trunkener, als er durch den Genuß seines Lieblingsgetränks Whisky wurde. Außerdem kaute er Tabak, hatte schmutzige Fingernägel und wusch offensichtlich sich selbst und seine Hillbillytracht nicht allzu oft.
Die Schreibers fanden sich mit ihm ab, weil sie es mußten. Die meisten ihrer Gäste taten es, weil sie die Schreibers ehrlich gern mochten, und viele von ihnen waren ähnlich niedriger
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