Der geschmuggelte Henry
Howard-Johnson-Restaurant, und da werden wir anhalten und einen Happen zu uns nehmen. Haben Sie schon einmal neuenglische Muschelsuppe gegessen? Ich garantiere Ihnen, es wird Ihnen davon wieder übel werden. Es ist das Beste von der Welt. Und der Kleine bekommt Eiskrem. Howard Johnson hat siebenunddreißig verschiedene Sorten Eiskrem.»
«Du meine Güte», rief Mrs. Harris. «Siebenunddreißig Sorten! So viele Aromen gibt es ja gar nicht. Glaubst du das, Henry?»
Henry blickte mit großem Vertrauen zu Mr. Bayswater auf und erwiderte: «Wenn er es doch sagt!»
Sie hielten vor dem orange-weiß gestrichenen Howard-Johnson-Restaurant am Rande der Autobahn — wo Hunderte von Wagen, alle in der gleichen Richtung, nebeneinander standen wie Schweine vor einem Trog — und ließen sich dort nieder und probierten lukullische Bissen der amerikanischen Autobahngastronomie.
Aber diesmal war es nicht Mrs. Harris, sondern Henry, dem übel wurde. Er hatte bereits neun verschiedene der berühmten Howard-Johnson-Eiskrems verzehrt, aber der zehnte — mit Heidelbeergeschmack — warf ihn um. Doch nachdem man ihn gesäubert hatte, war er so gut wie neu, und sie stiegen wieder in den Rolls-Royce und fuhren heiter und glücklich der großen Metropole am Hudson entgegen.
Als sich die Fahrt ihrem Ende näherte, berichtete Mr. Bayswater Mrs. Harris von des kleinen Henrys Beliebtheit bei den Diplomatenkindern, bevor die Windpocken ihn niedergestreckt und seinem Tatendrang einen Riegel vorgeschoben hatten, der sich darin geäußert hatte, daß er schneller gelaufen und weiter gesprungen war als die Sprößlinge der Botschafter von Spanien, Schweden, Indonesien, Ghana, Finnland und den Niederlanden.
«So etwas», sagte Mrs. Harris, und dann zwinkerte sie Mr. Bayswater über Henrys Kopf hinweg zu und sagte: «Aber wie kommt es, daß sie nicht gemerkt haben, daß der kleine Henry kein... ich meine...»
«Ha», höhnte Mr. Bayswater. «Wie sollten sie das wohl? Sie können des Königs Englisch selber nicht besser sprechen. Der Junge wird einmal ein großer Mann.»
Hier brach der kleine Henry ausnahmsweise sein übliches langes Schweigen. «Mir hat die Ostergesellschaft auf dem Rasen am besten gefallen», vertraute er Mrs. Harris an. «Wir mußten versteckte Ostereier suchen, und dann mußten wir mit einem Ei auf einem Löffel um die Wette laufen. Onkel Ike hat gesagt, ich sei der beste von allen, und vielleicht würde ich ein Meister werden.»
«Das hat er wirklich gesagt?» sagte Mrs. Harris. «Das war aber nett. Wer, sagtest du, Onkel Ike? Wer ist denn Onkel Ike?»
«Das weiß ich nicht», erwiderte der kleine Henry. «Es war ein freundlicher Mann mit Kahlkopf. Er wußte, daß ich direkt aus London gekommen bin.»
«Er meint den Präsidenten der Vereinigten Staaten und die alljährliche Ostergesellschaft für die Kinder der Mitglieder des Diplomatischen Korps auf dem Rasen des Weißen Hauses», erklärte Mr. Bayswater etwas hoheitsvoll. «Mr. Eisenhower leitete das Fest persönlich. Ich stand ganz in seiner Nähe. Wir haben ein paar Worte gewechselt.»
«Lieber Gott, ihr verkehrt mit Präsidenten! — Ich bin einmal so dicht an die Königin herangekommen, als sie Weihnachtseinkäufe bei Harrods machte, daß ich sie fast berühren konnte.»
Der Rolls-Royce summte jetzt — es war fast, als ob er schwebte — über das Netzwerk aus Stahl und Beton der Hochstraße, die sich über die Sümpfe von New Jersey spannt. In der Feme sah man, von der Frühlingsabendsonne beschienen, die Türme von Manhattan aufragen. Turmspitze des Empire State Buildings und die silberne Stahlspitze des Chrysler Buildings funkelten mehr als dreihundert Meter hoch über der Straße, und jedes Fenster in der glatten Fassade des Hauses der Radio Corporation von Amerika und anderer Gebäude im Zentrum von New York begann zu glühen, bis sie alle buchstäblich zu brennen schienen.
Mrs. Harris genoß das ferne Schauspiel, bis sie in die Höhle des Lincoln Tunnels einfuhren, und murmelte: «Ach, und da habe ich gedacht, der Eiffelturm sei schon was!» Und sie dachte: Wer hätte je geglaubt, daß Ada Harris aus Battersea, Willis Gardens 5, einmal in einem Rolls-Royce neben einem so reizenden und eleganten Gentleman, einem wirklichen, richtigen Gentleman - Mr. John Bayswater — sitzen und mit eigenen Augen so etwas Herrliches wie New York sehen würde! Und der ergrauende kleine Chauffeur dachte: Wer hätte je geglaubt, daß Mr. John Bayswater aus Bayswater das von
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