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Der geschmuggelte Henry

Der geschmuggelte Henry

Titel: Der geschmuggelte Henry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Gallico
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sich als ein anderer erwiesen hat.
    Nichts hätte mich mehr gefreut, als Sie am nächsten Sonntag zu sehen und persönlich von Ihnen Ihre Eindrücke vom Mittleren Westen zu hören, aber leider, fürchte ich, hat das Schicksal uns einen Strich durch die Rechnung gemacht, und Ihr Besuch muß noch einmal verschoben werden. Der kleine Henry scheint sich plötzlich eine Krankheit zugezogen zu haben, die Windpocken heißt, und von der, soviel ich weiß, Kinder seines Alters oft befallen werden. Er muß darum das Bett hüten, erhält aber, wie ich Ihnen versichern kann, die beste Pflege, und nach Meinung des Arztes wird er bald wieder genesen sein.
    Sie brauchen sich nicht darüber zu beunruhigen, daß ich mich selber bei dem kleinen Henry leicht angesteckt habe, der sich, wie ich vermute, die Krankheit von dem Sohn des persischen Botschafters geholt hat, und so teile ich mit ihm die Quarantäne. Die Krankheit scheint mich als Kind verschont zu haben. Ich brauche mich aber über diesen Stand der Dinge nicht zu beklagen, da ich so die notwendige Zeit und Ruhe habe, um über die Größe dieser riesigen Nation und die Verantwortung meiner Stellung nachzudenken. Sie können so auch in aller Ruhe Ihre Nachforschungen nach dem Vater des Kindes fortsetzen, eine Aufgabe, der Sie, daran zweifle ich nicht, voll und ganz gewachsen sind.
    Sobald die « Gefangenenzeit » des kleinen Henry beendet ist, gebe ich Ihnen Nachricht. Ich werde dann auch verbreiten, daß die Osterferien meines kleinen Enkels zu Ende sind und ich ihn zu seiner Familie nach England zurückschicken muß. Er wird von den vielen Freunden, die er während seines kurzen Aufenthalts hier gefunden hat, sehr vermißt werden, aber von niemandem mehr ah dem braven Bayswater und mir selbst. Um Ihnen weitere Ausgaben bei Ihrem selbstlosen Liebeswerk zu ersparen, habe ich Bayswater angewiesen, Sie und den Jungen von Washington nach New York zurückzufahren. Sie werden dadurch auch Gelegenheit haben, etwas mehr von diesem wunderbaren Land zu sehen.
    Wenn ich Ihnen sonst noch irgendwie bei Ihrer Suche helfen kann, dann schreiben Sie es mir unumwunden, aber da ich Ihre Energie und Intelligenz kenne, zweifle ich nicht daran, daß Sie den richtigen Mr. Brown finden werden.
    Mit herzlichen Grüßen und allen guten Wünschen bin ich wie immer
    Ihr
    Chassagne

14

    Wenn der Marquis auch nicht an Mrs. Harris’ Fähigkeit zweifelte, den verschollenen Vater aufzufinden, so begann Mrs. Harris jetzt an sich selbst zu zweifeln, seit der Mann, auf den Sie so fest gesetzt, sich als der verkehrte erwiesen hatte.
    Mit Hilfe ihrer Londoner Schläue und Klugheit war es ihr nicht schwergefallen, einen Mr. Brown in Kenosha, Wisconsin, von dem in der Zeitung die Rede gewesen war, ausfindig zu machen. Aber leider war es nicht der richtige gewesen, und den richtigen unter den unzähligen Millionen zu finden, die in diesem Riesenland wohnten, das so groß war, daß nicht einmal das schnellste Düsenflugzeug es auf eine vernünftige Größe reduzieren konnte—, das war etwas anderes. Sie entdeckte zum Beispiel zu ihrem Entsetzen, daß allein im Manhattan-Telefonbuch nicht weniger als 37 George Browns verzeichnet standen. Die gleiche Anzahl gab es in Brooklyn und den drei anderen Stadtteilen. Und auch in den übrigen Großstädten, mit deren Namen sie jetzt vertraut war — Chicago, Detroit, Los Angeles, San Francisco, Philadelphia und New Orleans—, wohnten ihrer ebenso viele, und dabei wußte sie nicht einmal, ob dieser George Brown in einer von ihnen lebte. Vielleicht war er ein wohlhabender Tabakpflanzer im Süden, ein Textilkaufmann in New England oder ein Bergwerksbesitzer im fernen Westen. Ein Brief, den sie an die Luftwaffe geschrieben hatte, brachte die Antwort, daß in ihren Akten 453 George Browns verzeichnet ständen und welchen sie meine, wo und wann er in England stationiert gewesen sei und wie seine Nummer gelautet habe.
    Zum erstenmal wurde sich Mrs. Harris ganz der Riesengröße ihrer Aufgabe bewußt, und zugleich wurde ihr klar, daß ihre romantische Natur sie dazu verführt hatte, etwas zu tun, was für eine vernünftige Londoner Putzfrau so gar nicht typisch ist. Sie war ohne Überlegen in ein fremdes Land gefahren, hatte sich einen kleinen Jungen aufgebürdet — oder würde es wenigstens tun, wenn sie ihn bei dem Marquis abholte, was sie dann zwang, ihn vor ihren freundlichen Arbeitgebern zu verstecken.
    Daß er zufällig Windpocken bekommen hatte, gab ihr freilich noch eine

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