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Der gestohlene Abend

Der gestohlene Abend

Titel: Der gestohlene Abend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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auf die Couch. »Ich hätte nicht gedacht, dass sich Nazipropaganda so gut für Holländisch als Fremdsprache eignet. Hast du noch mehr von dem Zeug?«
    »Ein paar Kisten voll. Aber ich muss das nicht alles allein bearbeiten. Ich muss es nur sichten und verteilen. Danke. Das hat mir sehr geholfen. Kann ich dir ein Bier spendieren?«
    Er war einzig und allein wegen Janine hier, schoss es mir durch den Kopf. Dieser verstaubte Nazi-Text war nur ein Vorwand. Warum gab er sich mit mir ab? Er, die Koryphäe. Sein Shakespeare-Vortrag würde demnächst gedruckt und war mittlerweile sogar für den diesjährigen Preis des amerikanischen Philologenverbandes nominiert. Gerüchten zufolge steckte Barstow hinter der Nominierung. Das bedeutete, dass David mit einem Schlag in der gesamten universitären Welt bekannt werden würde. Dieser Preis wurde normalerweise nicht an Studenten vergeben.
    »Schau dir den Stapel dort an«, antwortete ich mit Bedauern, das nicht einmal gespielt war. »Tut mir leid. Aber danke für die Einladung.«
    »Hey, ich danke dir.«
    Er stand auf und ging zur Tür.
    »Ach ja, und sag ihr bitte nicht, dass ich hier war, OK?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Natürlich nicht.«
    »Ich meine Marian«, sagte er.

Kapitel 31
    Ich zerbrach mir eine Weile lang den Kopf über diese letzte Bemerkung, aber dann versuchte ich, den Vorfall so schnell wie möglich zu vergessen, auch weil ich Janine nichts davon erzählen wollte. Ich beschloss, David aus dem Weg zu gehen. Aber im Grunde war er immer da. Mir kam der Verdacht, dass Janine Orte mied, wo sie mit ihm gewesen war. Oder warum fuhren wir immer so weit, wenn wir ausgingen? Wenn wir die Nacht zusammen verbrachten, so grundsätzlich bei mir, auf meiner kleinen Klappcouch oder an der Küste in kleinen Hotels, in denen es außerhalb der Saison preiswerte Zimmer gab. Einmal begegneten wir David auf dem Campus. Wir bemerkten es so spät, dass ein Ausweichmanöver peinlicher gewesen wäre als die Begegnung selbst. Wir standen uns einige Augenblicke lang betreten gegenüber, tauschten Belanglosigkeiten aus, und ich war heilfroh, als es endlich vorüber war.
    Trafen sie sich manchmal noch? Telefonierten sie miteinander? Gab es nach Trennungen nicht immer noch Dinge zu klären, an die man nicht gedacht hatte? Und sei es nur ein vergessener Schlüssel oder so etwas? Ich traute mich nicht, Janine danach zu fragen. David war ein Reizthema, das wir beide mieden.
    Zwei Wochen vergingen so. Ich saß in Marians Seminar und war froh, dass David nicht hier war. Aber natürlich war seine Abwesenheit auch dort spürbar. Kein Wort war jemals über seinen Vortrag gefallen. Ja, es war genau so, wie Theo gesagt hatte. Er hatte sich exkommuniziert. Dass er offenbar noch immer für Marian arbeitete, wunderte mich, aber auch darüber sprach ich mit niemandem. Und dass die anderen über David schwiegen, war mir im Grunde recht. Allerdings hatte ich fest damit gerechnet, dass früher oder später von ihm die Rede sein würde. Aber nichts dergleichen geschah. Jedenfalls nicht in meiner Gegenwart. Ich hatte noch immer keinen richtigen Kontakt zu der Gruppe gefunden. Außer mit Parisa hatte ich zwar mit allen bereits ein paar Sätze gewechselt, mich mit Julie sogar schon zweimal länger unterhalten. Aber ich fühlte mich noch immer wie ein Eindringling, ein geduldeter Zaungast. Auch blieb mir schleierhaft, wie die Beziehungen dieser fünf Studenten untereinander funktionierten. Tom und Jacques steckten fast immer zusammen. Mark nahm eindeutig eine Führungsrolle ein, schien jedoch gleichzeitig ein wenig isoliert. In den Pausen bot sich immer das gleiche Bild: Julie und Parisa saßen nebeneinander und unterhielten sich, Tom und Jacques gingen nach draußen, um eine Zigarette rauchen, Mark verschwand irgendwohin, um fast immer im Gespräch mit Marian zurückzukehren. Nachdem ich die ersten zwei Pausen allein an meinem Tisch verbracht hatte, gesellte ich mich zu Tom und Jacques auf die Terrasse vor dem Institut und rauchte mit ihnen. Immerhin nahmen sie mich auf. Ein richtiges Gespräch ergab sich dabei allerdings nicht. Jacques redete. Er jonglierte mit einer Frage oder Idee herum, die Marian vor der Pause in den Raum gestellt hatte, und Tom hörte stumm zu. Er schien allerdings zu verstehen, wovon die Rede war, was ich von mir nicht behaupten konnte. Mein Eindruck war, dass Jacques versuchte, Marian nachzuahmen, es dabei jedoch nur zu einer ähnlichen Pose brachte.
    Ich war in Gedanken, als

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