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Der gestohlene Abend

Der gestohlene Abend

Titel: Der gestohlene Abend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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Romantik, die ihr noch überhaupt nicht eingefallen ist, weil sie De Vanders diesbezügliche Notizen noch gar nicht gesehen hat? Kann ich dir ohne Weiteres geben. Ein Wochenende mit mir erspart dir jede Menge Arbeit.«
    Ein Wochenende? War er übergeschnappt?
    »David, bitte halte an!«
    »Jetzt gleich?«
    »Ja!«
    Er lenkte den Wagen auf den Seitenstreifen und schaltete den Warnblinker an.
    »Was soll das?«, fragte ich, nachdem wir zum Stehen gekommen waren. »Ist das eine Entführung?«
    »Nein«, erwiderte er. »Ein Spontanausflug.«
    »Warum?«
    »Warum nicht? Das Schicksal hat uns verbunden. Janine hat sich in dich verliebt. Du studierst bei Marian. Offenbar wirkt irgendeine Kraft darauf hin, dass unsere Leben sich kreuzen. Ja, sogar mehr als das. Sie verflechten sich. Außerdem ... Janine, Marian, wie wäre es denn mal mit einem Wochenende unter Männern? Nur du, ich und er. Was ist dabei?«
    »Wer er?«
    »De Vander.«
    »David, hör auf mit dem Quatsch. Ich habe so viel Arbeit, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll...«
    »Geschenkt. Von einem Wochenende mit mir hast du mehr als von zwei Wochen in der Bibliothek. Ich kenne das alles in-und auswendig. Wenn du willst, skizziere ich dir heute Abend eine Argumentation zu Kleist, mit der du Mark und Jacques aussehen lässt wie zwei dämliche Anfänger. Was sie ja übrigens auch sind.«
    »Warum solltest du das tun?«
    Er machte eine kurze Pause. Dann sagte er: »Als Gegenleistung für den Abend, den ich dir stehle.«
    »Abend? Was für ein Abend?«
    War er verrückt? Ich rückte unwillkürlich ein wenig von ihm ab und versuchte, in seinem Gesicht zu lesen. Aber er lächelte nur selbstsicher und schien meine Verwirrung zu genießen.
    »Was ich dir zeigen will, liegt etwa vier Autostunden von hier«, sagte er ruhig. »Die Besichtigung dauert zwei Stunden. Das heißt, eine Tour dauert so lange. Es gibt insgesamt vier. Wir könnten also heute Nachmittag eine oder zwei und morgen früh vielleicht noch eine dritte schaffen, bevor wir zurückfahren müssen. Beim Abendessen besprechen wir dann die Hausarbeit, die du für Marian schreibst. Na, ist das ein Angebot? Auf meine Rechnung. Und das alles für einen gestohlenen Abend.«
    Wahrscheinlich dachte er, ich wäre heute Abend mit Janine verabredet. Der Motor des Wagens lief noch. David schaute mich erwartungsvoll an. Ich griff zum Zündschlüssel und schaltete den Motor aus.
    »Was soll das, David?«
    »Hätte ich dich vorher fragen sollen? Du wärst nicht mitgekommen. Aus Rücksicht auf Janine. Aber ich versichere dir: Es hat nichts mit ihr zu tun. Wirklich. Ich will dir nur etwas zeigen. Man muss es gesehen haben. Man kann es nicht erklären.«
    »Was willst du mir zeigen?«
    »De Vander.«
    Entweder er war wirklich durchgedreht, oder er machte sich über mich lustig.
    »De Vander ist tot.«
    »Ja. Klar. Ich meine es auch nur im übertragenen Sinne. Aber gut, wenn du partout nicht willst, dann kehren wir eben um.«
    Ich schaute ihn an und versuchte noch einmal, aus seinem Gesichtsausdruck schlau zu werden.
    »Was willst du wirklich von mir?«, sagte ich schroff.
    Er zog die Augenbrauen hoch. Nach einigen Sekunden sagte er: »Dann eben nicht.« Er griff zum Zündschlüssel. Ich fiel ihm in den Arm.
    »Warum sagst du mir nicht, was du von mir willst?«
    »Weil es so ist, wie ich sage, Matthew«, erwiderte er bestimmt. »Ich steige gerade von dem Berg ab, auf den du hinaufkletterst. Ich dachte, wir tauschen uns ein wenig darüber aus. Vielleicht kann ich dir ein paar Tipps geben.«
    »Du steigst nicht ab. Du steigst aus. Warum?«
    »Du bist zu misstrauisch. Das schafft kein angenehmes Reiseklima. Komm, wir fahren zurück. Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht überrumpeln.«
    Er startete den Motor und schob den Schalthebel nach vorn.
    »Da vorn ist eine Tankstelle«, sagte ich. »Lass mich telefonieren.«
    Wir fuhren schweigend die Strecke bis zur Tankstelle und hielten wieder an. Ich ging zu einem Münztelefon, das neben dem Eingang zur Toilette an der Wand hing, und wählte Janines Nummer. Noch bevor die Verbindung zustande kam, legte ich wieder auf. Was sollte ich ihr denn bloß sagen? Ich schielte zu seinem Wagen hinüber. Er gab gerade dem Service-Boy, der die Windschutzscheibe geputzt hatte, ein Trinkgeld. Wären wir morgen rechtzeitig zurück, sodass ich Janine vielleicht gar nichts von dem Ausflug erzählen müsste? Aber sie würde mich heute Abend bestimmt anrufen. Und warum sollte ich sie belügen? Ich

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