Der gestohlene Abend
stand unschlüssig vor dem Apparat. Keine der Lösungen gefiel mir. War das vielleicht seine Absicht? Subtile Sabotage? Ich wählte erneut. Sie nahm nach dem zweiten Klingeln ab. Ich erzählte ihr, was geschehen war. Sie lauschte stumm.
»Wo seid ihr denn?«, fragte sie dann.
»Auf dem 405. Irgendwo hinter Huntington.«
»Und. Was willst du tun?«, fragte sie knapp.
»Ich weiß es nicht. Was meinst du?«
»Dieser Bastard. Gib ihn mir bitte.«
»OK. Dann kehren wir jetzt um.«
»Blödsinn. Du willst doch mitfahren, oder? Warum fragst du mich überhaupt? Du kannst dir doch wohl denken, was ich davon halte.«
»Ich wollte deine Meinung. Ich weiß nicht, was ich machen soll.«
»Du willst dein schlechtes Gewissen bei mir abladen, das ist alles.«
»Janine, hör mal, er hat mich hereingelegt.«
»Ach ja, warum kehrst du dann nicht einfach um? Warum rufst du mich an?«
Ich spürte Unwillen in mir aufkommen. Warum war sie so giftig?
»Ich verstehe überhaupt nicht, warum du so heftig reagierst. Ich denke, er will einfach ...«
»...was du denkst, ist ganz allein deine Sache, Matthew«, unterbrach sie mich. »Für mich zählt, was du tust. Deine Zweifel und Unsicherheiten kannst du in diesem Fall gern für dich behalten. Du willst mit David das Wochenende verbringen. Bitte schön. Dann steh auch dazu. Sag mir bitte morgen früh Bescheid, ob ihr rechtzeitig zurück seid, sonst fahre ich alleine nach Venice. Und jetzt hol mir bitte David an den Apparat.«
Danach saß ich im Wagen und schaute ihm zu, wie er mit ihr sprach. Sie redeten etwa fünf Minuten miteinander. Als er aufgelegt hatte, klingelte das Telefon sofort wieder. Aber es war offenbar der Operator. David warf Münzen nach, um die fehlenden Gebühren zu bezahlen und nahm dann wieder auf dem Fahrersitz Platz.
»Also dann«, sagte er zufrieden. »Eigentlich ist mir auch wohler, dass sie im Bilde ist. Ich habe versprochen, dass ich dich morgen rechtzeitig wieder abliefere.«
»Fahren wir«, sagte ich verstimmt.
Kapitel 33
Das Gespräch mit Janine drückte auf meine Stimmung. Mehrmals stand ich kurz davor, doch wieder umzukehren. Ich verstand, dass sie nicht gerade begeistert davon war, dass ich mit ihrem Ex-Freund das Wochenende verbrachte. Aber in ihrer Stimme war mehr als Missbilligung oder Missfallen gewesen. Sie war wütend. Sie fühlte sich hintergangen.
Erst hinter Santa Barbara begann ich allmählich die Schönheit der Landschaft wahrzunehmen. Die Straße schlängelte sich die Steilküste entlang. Der Pazifik lag vor uns wie ein zweiter, tiefblauer Himmel. Ich hatte keine Ahnung, wohin die Reise ging. Als wir an einem Schild mit Entfernungsangaben vorbeikamen, weihte er mich immerhin ein, dass unser Ziel San Luis Obispo hieß und noch siebenundachtzig Meilen entfernt lag. Einige Meilen später tauchten die erste Hinweisschilder auf eine Touristenattraktion auf: Hearst Castle.
»Schon mal davon gehört?«
»Nein.«
Immer öfter überholten wir Reisebusse. Auch die Zahl der Hinweisschilder nahm zu. Ich musste an den Roman von DeLillo denken, die Episode mit der meistfotografierten Scheune Amerikas. Schilder säumten die Straße. Welcome to San Simeon. Kurz darauf bog David von der Straße ab und hielt auf die Küste zu. Die Straße schlängelte sich ein paar hundert Meter hangabwärts und endete vor einem Motel. Es sah hübsch aus, ein Haupthaus mit Restaurant, daneben eine Handvoll kleiner Bungalows, alle mit einem kleinen Vorgarten und Blick aufs Meer. David parkte, verschwand im Haupthaus und kehrte nach einigen Minuten zurück.
»Alles klar. Wir haben die Nummer fünf. Da gibt es zwei Schlafzimmer. Da müssen wir nicht in einem Bett übernachten. Das ist dir doch sicher auch lieber, oder?«
»Bist du schon mal hier gewesen?«
»Klar. Schon ein paar Mal. Ich schlage vor, wir fahren gleich hinauf.« Er blickte auf die Uhr.
»Halb zwei. Da schaffen wir noch die Touren um zwei und um vier.«
Fünf Minuten später parkten wir auf einem riesigen Parkplatz. Hearst Castle Visitors' Center stand über der Einfahrt. Wir folgten dem Besucherstrom zum Eingang. David verschwand, um Tickets zu besorgen. Ich sammelte erste Eindrücke. Ein Multimillionär namens Randolph Hearst hatte sich hier in den Zwanzigerjahren ein Schloss gebaut. Beim Durchlesen der Broschüren, die überall herumlagen, kam mir das eine oder andere nun doch bekannt vor, vor allem die Filmfigur Citizen Kane, für den dieser Zeitungsmagnat Hearst die Vorlage geliefert hatte.
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