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Der gestohlene Abend

Der gestohlene Abend

Titel: Der gestohlene Abend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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auch niemand davon zu erfahren.
    »Was machst denn du dieses Trimester?«, fragte ich ihn, um von mir abzulenken.
    »Ich mache einen Kurs bei Ruth«, sagte er. »Ach ja . Dann wirst du also auch abtrünnig.« »Nicht so ganz. Ruth ist eine von uns.«
    »Von euch?«
    »Ja. Sie schreibt.«
    »Woher willst du das wissen?«
    »Von Winfried.«
    »So? Und was schreibt sie?«
    »Im Moment ihre Biografie. Aber vielleicht kommt danach noch mehr. Ich würde nie bei jemandem Literatur studieren, der nicht selbst schreibt.«
    »Darauf soll ich jetzt vermutlich etwas erwidern.«
    »Nein. Warum? Es gibt ja Heerscharen von Studenten, die Literatur bei Leuten studieren, die noch nicht einmal versucht haben, auch nur ein Epigramm zu Papier zu bringen. Aber wundern tut es mich schon.«
    »Also doch. Du willst mit mir streiten.«
    »Du kennst mich doch«, erwiderte er grinsend. »Ich streite nie. Ich frage nur.«
    »Muss man deiner Meinung nach also Flossen haben, um sich mit Fischen zu beschäftigen?«
    »Sehr gute Antwort, Matthew. Eins zu null. Komm, lassen wir das. Was ist los mit dir? Hast du Zahnschmerzen?«
    »Nein. Liebeskummer.«
    »Oje. Das tut mir leid.«
    Seit wir an diesem Tisch Platz genommen hatten, war es der erste Satz aus seinem Mund, der aufrichtig klang. »Schlimm?«
    Ich zuckte mit den Schultern.
    »Ich will nicht darüber reden, Theo. Lass uns einfach ein paar Biere trinken. Ich denke, dann geht es mir schon besser.«
    Er nickte stumm und füllte sofort unsere Gläser.
    »Ging mir auch so, als ich hier ankam«, sagte er dann. »Alle Treueschwüre dieser Welt. Und nach ein paar Monaten kam ein Brief, und das war's.«
    Ich ließ ihn auf dem Holzweg, dass der Grund für meinen Liebeskummer in Deutschland wohnte.
    »Winfried übrigens auch.«
    »Wie lange willst du eigentlich hierbleiben?«, fragte ich.
    »Das Programm dauert vier Jahre. Ich bin im zweiten.«
    »Und wenn du fertig bist?«
    »Keine Ahnung. Kommt darauf an.«
    »Findest du es nicht komisch, auf Englisch zu schreiben?«
    »Nein. Außerdem schreibe ich nicht alles auf Englisch. Isst du nichts?«
    Der Ober war an unseren Tisch gekommen. Theo bestellte einen Burrito. Ich blieb bei Bier.
    »Und welcher Teil deines Schreibens findet auf Deutsch statt?«
    »Ich will vom Schreiben leben, Matthias. Das geht nur, wenn man gewisse Genres bedient. Die Amerikaner und Engländer machen das am besten, daher lerne ich bei ihnen. Zudem haben sie den größten Markt und verdienen dadurch im Durchschnitt das meiste Geld. Das ist die eine Seite. Daneben habe ich natürlich auch Projekte, die mir sehr am Herzen liegen, die aber nur schwer zu verkaufen sind. Novellen und Kurzgeschichten etwa, die heute in Deutschland fast niemand drucken will, weil der Markt dafür im Moment sehr klein ist. Ein paar sehr literarische Entwürfe habe ich auch in Arbeit, aber der Markt dafür ist noch kleiner, und außerdem ist man in dieser Sparte sehr stark vom Kulturbetrieb abhängig, der ganz anderen Gesetzen folgt als der allgemeine Buchmarkt. Also schreibe ich von Anfang an unter zwei Namen, in zwei Sprachen. Der eher kommerzielle, englische Teil finanziert den anderen, den ich nur in Deutschland anbiete und der außerhalb von Deutschland auch keinen Menschen interessiert.«
    »Und was ist dann überhaupt dein Stil?«
    »Mein Stil? Früher haben die meisten Schriftsteller als Journalisten gearbeitet, um ihre Schreiberei zu finanzieren. Und ich kann dir sagen: Hemingway einmal ausgenommen versaut Journalismus den Stil erheblich mehr, als wenn man sein Geld mit handwerklich gut gearbeiteten Romanen für das breite Publikum verdient. Aber ich dachte, du wolltest nicht mit mir streiten?«
    »Wieso streiten?«
    »Na ja, dein Gesichtsausdruck. Mit Winfried fängt es auch immer so an. Wir reden über Literatur, und nach drei Sätzen geraten wir uns in die Haare.«
    »Na ja, ein wenig gewöhnungsbedürftig ist das schon, was du da beschreibst.«
    »Wieso? Ihr posaunt doch immer herum, der Autor sei tot? Und wenn das jemand beim Wort nimmt, wird euch plötzlich bang. Warum soll sich der Autor nicht in jedem Buch neu erfinden dürfen?«
    »Weil es sehr nach Geschäft klingt, und weniger nach Kunst.«
    »Ach je. Immer die gleiche Leier. Warum habt ihr Literaturwissenschaftler nur immer einen so romantischen Blick auf euren Gegenstand. Kann es daran liegen, dass die Romantik euer Fach erfunden hat?«
    »Hat sie das?«
    »Ja. Sicher. Kunstkritik, wie ihr sie betreibt, gibt es erst seit Schlegel. Das

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