Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der gestohlene Abend

Der gestohlene Abend

Titel: Der gestohlene Abend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Fleischhauer
Vom Netzwerk:
Polizeiwagen musste direkt vor der Bibliothek zum Stehen gekommen sein. Von hier unten konnte ich ihn nicht sehen. Der Platz war noch gut zweihundert Meter entfernt und lag wesentlich höher. Aber die grellblauen Lichtblitze, die dort oben über die Fassaden sichelten, waren unübersehbar. Das Sirenengeheul hörte plötzlich auf. Im selben Augenblick konnte ich es riechen. Rauch. Es brannte!
    Unschlüssig schaute ich mich um. Aber nirgendwo war Feuer zu sehen. War in Pinewood Hall der Pizzaofen explodiert? Ich würde einen großen Bogen um den Platz machen. Die amerikanische Polizei war mir noch nie geheuer gewesen. Ich bog nach rechts ab und ging den gleichen Weg wie damals, als ich zufällig den Hintereingang zur Bibliothek und der Archivabteilung entdeckt hatte. Und dann sah ich es: im dritten Stock quoll weißer Rauch aus zwei Fenstern. Ich blieb stehen und blickte erschrocken zu der Fassade hinauf, es gab einen Knall, eins der Fenster barst, und sofort schlugen Flammen aus der Öffnung in die Nacht hinaus. Das Archiv brannte! Ich wich zurück, immer die beiden Fenster im Auge, von denen das eine Flammen, das andere weißen Qualm in die Nacht schleuderte.
    Überall liefen plötzlich Menschen herum. Ich kletterte die Böschung zu den Parkplätzen hinauf und lief einem Polizisten in die Arme, der mich anschrie, was ich hier verloren hätte. Mit den anderen trieb er mich vor sich her auf die Terrasse der gegenüberliegenden Cafeteria zu. Studenten und Bedienstete stürzten aus der Bibliothek ins Freie. Man sah Rauchschlieren hinter den großen Glasscheiben im Erdgeschoss.
    Feuerwehrleute rissen Klappen auf, rollten Schläuche ab, schrieen Befehle hin und her. Mit ohrenbetäubendem Sirenengeheul traf ein zweiter Löschzug ein, gefolgt von einem Sanitätswagen. Der zweite Löschzug setzte zurück, wendete und fuhr rückwärts so weit er konnte an die Böschung heran. Vier Feuerwehrleute zogen die Schläuche von den Rollen und verschwanden auf der abschüssigen Grasfläche, die hinter das Gebäude führte. Von der Cafeteria aus war nur zu sehen, dass die Luft in der noch immer hell erleuchteten Bibliothek noch etwas diesiger geworden war. Der Rauch fand anscheinend seinen Weg durch das Treppenhaus und unter den Türen hindurch. Trotzdem konnte es jetzt nicht mehr lange dauern, bis die Sache unter Kontrolle war.
    »Auch hier?« Ich drehte mich um.
    »Hallo Winfried«, sagte ich.
    »Warst du auch da drin?«, fragte er.
    »Nein. Ich war Zigaretten holen und bin noch ein paar Schritte spazieren gegangen.«
    »Schöne Scheiße«, brummte Winfried. »So wie das aussieht, kann man die Bibliothek für Wochen vergessen.«
    »Das glaube ich nicht. Das Feuer ist hinten, im Archiv. Wenn sie es gleich löschen, werden sie den Rest nur gut lüften müssen.«
    »Im Archiv«, wiederholte er bestürzt. »Das ist ja noch viel schlimmer. Wo denn?«
    »Irgendwo im dritten Stock. Rechts vom Treppenhaus, das vierte und fünfte Fenster.«
    Sein Gesicht hellte sich auf. »Na dann geht es ja noch. Das achtzehnte Jahrhundert ist im Erdgeschoss. Bleibt nur zu hoffen, dass sie beim Löschen nicht alles unter Wasser setzen.«
    »Die werden schon wissen, was sie tun.« Winfried zog die Mundwinkel herunter. »Da würde ich mich nicht drauf verlassen. Dritter Stock hast du gesagt?«
    Ich nickte.
    »Da lagert nur das zwanzigste Jahrhundert«, fuhr er spöttisch fort. »Bestimmt ein Kurzschluss.«
    »Meinst du?«
    »Was denn sonst? Rauchen darf man hier nirgends. Kann also nur ein Kurzschluss sein. Oder vielleicht ein explosiver Gedanke.«
    Winfried war schon mal witziger gewesen.
    »Ich gehe ins Bett«, sagte ich. »Mach's gut.«
    »Tschüss. Bis demnächst mal.«
    Die Wasserpumpen liefen schon. Ich bahnte mir einen Weg durch das Gedränge. Nach einigen Minuten verflog der Brandgeruch, und ich roch wieder den vertrauten Eukalyptusduft. Auch das zuckende Blaulicht von jenseits der Fußgängerbrücke war nicht mehr zu sehen. Winfried hatte wohl recht. Ein Kurzschluss. Der Vorfall beschäftigte mich schon nicht mehr, als ich die Tür zu meinem Studio aufschloss. Mich interessierte nur noch eines. Aber alle Hoffnung war vergebens. Der Anrufbeantworter blinkte nicht.

Kapitel 39
    Es war noch dunkel, als das Telefon klingelte. Ich erkannte ihre Stimme. Aber nur allmählich gelang es mir, aus ihrem Gestammel den Sinn der immer wiederkehrenden Botschaft herauszuhören.
    »Er ist tot, Matthew. Was haben wir getan!«
    »Janine?«
    Ihre Antwort bestand nur aus

Weitere Kostenlose Bücher