Der gestohlene Abend
Todesfall zu beklagen. Erste Untersuchungen hatten ergeben, dass es sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um Brandstiftung handelte. Ob der am Brandherd tot aufgefundene Doktorand als Täter infrage kam, stand noch nicht fest.
»Ich kann das gar nicht glauben«, sagte Theo nach einer Weile. »Glaubst du das? Brandstiftung?«
Ich schüttelte schweigend den Kopf.
»Was hat er nur mitten in der Nacht im Archiv gewollt?«, fragte er dann.
Wenn es nur nicht so war, wie es Janine gesagt hatte. Wegen uns? Wegen ihr? Was hatte sich gestern zwischen ihm und Janine abgespielt? Er war bei ihr gewesen. Und danach war er irgendwann ins Archiv gegangen, hatte also gar nicht den ganzen Abend bei ihr verbracht. War er ausgerastet? War er überhaupt der Typ, dem so etwas passierte? Hatte er den Kopf verloren? Aus Eifersucht?
Theos Augen waren auf den Fernseher gerichtet, wo jetzt Bilder der ausgebrannten Räume gezeigt wurden Es war unheimlich. Der Tisch, an dem David gesessen hatte, als ich das erste Mal mit ihm gesprochen hatte, stand noch da, völlig verkohlt.
»Furchtbar, einfach furchtbar«, murmelte Theo.
Ich suchte den ganzen Vormittag nach ihr. Ich irrte kreuz und quer über den Campus, soweit die Absperrungen und der zunehmende Presserummel es zuließen. Gegen Mittag gab ich auf. Als ich mein Zimmer betrat, klingelte das Telefon.
»Matthew?«
Es war Marian.
»Ja.«
»Sie wissen, was passiert ist?«
»Ja. Sicher.«
»Ich rufe jeden von Ihnen an, weil ich es für meine Pflicht halte. Ich habe keine Worte für das, was geschehen ist. Die nächsten Tage werden hoffentlich Klarheit bringen.«
»Ja. Bestimmt.«
»Das Institut bleibt diese Woche geschlossen.«
»Ja. Sicher.«
»Aber es bleibt bei der kleinen Runde bei mir am Samstag. Bitte kommen Sie, wenn Sie können. Ich will bis dahin versuchen herauszufinden, was letzte Nacht passiert ist. Ich denke, Sie alle haben ein Recht, das zu erfahren.«
»Ja. Danke. Ich komme gern.«
Sie schwieg einen Augenblick. Was für eine Situation!
»Die Universität hat eine Station für alle diejenigen eingerichtet, die David näher gekannt haben und vielleicht mit jemandem sprechen möchten.«
»Ja, danke, ich weiß.«
»Das sind sehr fähige Leute, Matthew. Gehen Sie bitte hin, wenn Sie das Bedürfnis haben. Sie können dort jederzeit anrufen. OK?«
Ich notierte mir die Nummer. Es tat mir gut, mit ihr zu reden.
»Danke, Marian. Das ist sehr nett von Ihnen.«
»Samstag, vier Uhr, bei mir.«
»Haben Sie auch Janine angerufen?«, fragte ich sie. Die Frage kam einfach so aus mir heraus. Ich griff nach jedem Strohhalm.
»Sie kennen Janine?«
»Ja. Wir hatten letztes Trimester einen Kurs zusammen. Wir sind befreundet.«
»Janine liegt im St. James', Matthew. Sie hatte einen Zusammenbruch.«
»Was?«
»Ja. Heute Morgen. Sie ist ein paar Meilen vom Campus entfernt von einer Streife aufgegriffen worden. Ihr Wagen stand am Straßenrand. Sie saß am Steuer und hatte einen Weinkrampf. Das arme Mädchen. Aber jetzt geht es ihr bestimmt schon besser.«
»Ja, bestimmt«, erwiderte ich.
»Auf Wiedersehen, Matthew.«
Ich wählte die Null, fragte den Operator nach der Nummer von St. James und rief sofort im Krankenhaus an. Ja, Miss Uccino sei bei ihnen, nehme jedoch keine Anrufe entgegen. Ihr Zustand sei stabil, es bestehe kein Anlass zur Sorge. Besuche seien auf keinen Fall möglich.
Nur für Familienangehörige.
Kapitel 40
St. James lag ziemlich weit weg.
Ich rief Winfried an und fragte, ob ich seinen Wagen leihen könnte. Das Krankenhaus lag an der Strecke, die ich damals mit ihr gefahren war, als wir ins Kino gegangen waren. Der Komplex sah nicht sehr einladend aus. Sechs Stockwerke, ein Backsteinbau, unter jedem Fenster ein vergitterter Kasten mit der Klimaanlage. Die Eingangshalle war mit grünem Linoleum ausgelegt. Ich ging zum Empfang und nannte Janines Namen. Ob ich ein Familienangehöriger sei. Nein. Dann seien Besuche absolut unerwünscht. Ob ich wenigstens eine Nachricht hinterlassen dürfte? Die Frau schob mir einen Block hin und legte einen Kugelschreiber daneben. Ich nahm auf einer der Wartebänke Platz und schrieb Janine auf das Papier. Zehn Minuten später saß ich noch immer so da, ohne ein weiteres Wort geschrieben zu haben. Schließlich erhob ich mich wieder, ging zu einem Kiosk am Eingang, kaufte einen Blumenstrauß und trug Janines Namen und Zimmernummer auf einem Formular ein. Ins Nachrichtenfeld schrieb ich nur: Bitte rufe mich an.
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